DIE MEROWINGER: Familiengruft
schleppen! Die ihren toten König im Staub liegen lassen, um ihren Verräterlohn einzufordern! Nein, ihr bittet mich nicht umsonst. Ihr sollt bekommen, was ihr verdient!«
Die Cambraier waren erschrocken verstummt.
Jetzt sahen sie, dass sich das königliche Gefolge, Hunderte schwerbewaffnete Männer, an sie heranschob. Die Vorderen lockerten schon die Schwertgriffe.
»Wir wollen es aber noch einmal genauer wissen!«, rief Chlodwig. »Von jedem Einzelnen wollen wir es wissen. Wer ist nicht zufrieden? Wer verzichtet auf sein Geschenk und will es zurückgeben? Wer ist nicht dankbar dafür, am Leben zu bleiben, statt seine Untat unter der Folter und am Galgen zu büßen? Du?«
Er starrte auf den Rotschopf herab, der zwei Schritte vor ihm stand. Sein Wolfsblick lähmte den Mann, der ihm noch immer die offene Hand mit der Fibel entgegengestreckte. Auf einmal begann die Hand heftig zu zittern. Die Fibel fiel in den Sand.
»Antworte! Hat man dir wirklich unrecht getan?«
»Mir … Unrecht? Nein … nein, nein! Verzeih mir, König, verzeih mir!« Der Rotschopf wurde wieder lebendig. Er sank auf die Knie, küsste den Fuß, der vor ihm knapp über dem Boden hing, hob hastig das Schmuckstück auf und stammelte: »Ich bin zufrieden … sehr zufrieden! Wollte nur … wollte nur danken, König! Wir alle wollten dir danken! Wir fanden nicht gleich die richtigen Worte … Nimm uns gnädig auf und verzeih uns!«
»Verzeih uns und nimm uns in deine Gefolgschaft auf!«, rief nun auch der rüstige Alte und warf sich ebenfalls nieder.
Alle Cambraier folgten dem Beispiel, bedankten sich laut und baten um Gnade.
Im Gefolge des Königs erhob sich Gelächter. Die eben noch so zornigen Herren aus Cambrai, die nun, den Hintern in die Höhe gereckt, im Sand lagen, erregten mehr Heiterkeit als Mitleid.
»Sie sollen ihre Opfer begraben!«, sagte Chlodwig zu einem Unsichtbaren, als wollte er mit diesen Männern nichts mehr zu tun haben. »Später werden wir weitersehen!«
Dann gab er Rufus die Schenkel. Der Zug setzte sich in Bewegung.
Kapitel 8
Mitternacht war schon vorüber, als Chlodwig und Baddo aus dem Keller heraufstiegen. Der Treppenschacht war so schmal, dass sie sich an einigen Stellen fast hindurchzwängen mussten. Der König ließ seinem Feldherrn den Vortritt und hielt Abstand zu ihm, während sie eine nach der anderen der mehr als fußhohen, schadhaften Stufen erklommen.
Unter ihnen blieb das düstere, feuchte Gewölbe zurück, aus dem das Gebrüll der Gefolterten immer entfernter herauftönte.
»Es ist zwecklos«, sagte Chlodwig, während er keuchend stehen blieb, um zu verschnaufen. »Rignomer ist entkommen. Die Schufte haben ihn laufenlassen, obwohl sie den Auftrag hatten, sie alle drei einzufangen. Ich bezweifle, dass die da unten etwas wissen. Ursio wird nichts aus ihnen herausprügeln. Auch wenn er sich noch schönere Sachen einfallen lässt.«
»Es hat wohl keiner auf ihn geachtet«, sagte Baddo, indem er ebenfalls verharrte und sich umwandte. »Weil er zu unwichtig ist.«
»Nicht für mich!«, sagte Chlodwig schroff und befahl: »Weiter, weiter!«
Oben in der Halle, wo die Cambraier Merowinger am Abend zuvor noch fröhlich und zuversichtlich getafelt hatten, saßen jetzt nur wenige Antrustionen des Königs, um seine Anordnungen für den nächsten Tag zu erwarten.
Obwohl Wein in Fülle vorhanden war, hatte Chlodwig ein Siegesgelage in der Stadt untersagt. Nur draußen im Lager, wohin der größte Teil der Gefolgschaft zurückgekehrt war, durfte gefeiert werden.
Nach der Hinrichtung seiner Verwandten erschien es Chlodwig nicht angemessen, zu unverhohlen Freude zu zeigen. Er wollte auch die geschlagenen Stammesbrüder nicht zusätzlich demütigen. Sein Einzug in Cambrai sollte vielmehr etwas ganz Selbstverständliches und Normales sein, ein längst notwendiger, überfälliger Machtwechsel, der aber nichts von einem Triumph hatte. Die Franken von Cambrai wurden heimgeholt – in die neue, große, mächtige Francia.
Wenn alles ruhig blieb, war auch die Wachsamkeit eher gewährleistet. Die getöteten Brüder mochten noch viele heimliche Anhänger haben. Einige ihrer treuesten Tischgenossen waren schon eingefangen und wurden gerade im Keller befragt. Leider waren sie bisher die wichtigste Auskunft schuldig geblieben.
»Wo mag er stecken?«, fragte Chlodwig zum wiederholten Mal, als er die Wartenden verabschiedet hatte und mit Baddo in der Halle des einstigen römischen Gouverneurspalastes allein geblieben
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