DIE MEROWINGER: Familiengruft
war. »Jeden Winkel in der Stadt haben unsere Leute durchsucht. Wahrscheinlich hat er sich abgesetzt, als die Schlacht noch im Gange war, und ist längst über alle Berge.«
»Ursio wird ihn schon irgendwann einfangen«, bemerkte Baddo.
»Darauf kann ich nicht warten, es muss nun schnell gehen.«
Chlodwig gab einer Weinkanne, die auf dem Boden lag, einen Fußtritt. Scheppernd rollte sie über die abgetretenen Mosaiken, stieß an andere Kannen, Schüsseln und Becher, die nicht mehr fortgeräumten Überbleibsel von Ragnachars letztem Gelage.
»Die haben es sich hier wohl sein lassen«, sagte Baddo, während sie zwischen den gedrungenen Säulen, an denen in eisernen Halterungen Kienfackeln steckten, auf und ab gingen. »Sogar in der Nacht vor dem Kampf. Kein Wunder, dass es für sie so ausging.«
»Schurken!«, brummte der König. »Es war Zeit, mit ihnen ein Ende zu machen. Das Geschlecht der Merowinger von solchem Misswuchs zu befreien.«
Baddo antwortete darauf nichts. Nach kurzem Schweigen sagte er: »Das Kriegshandwerk stand hier nicht hoch im Ansehen. Die Männer waren schlecht ausgebildet. Und die Besten sind auch noch gefallen. Was übrig geblieben ist, taugt nicht viel. Trotzdem … ein paar hundert könnte ich brauchen, um Löcher zu stopfen. Ich hatte zuletzt Verluste. Ohne Verstärkung komme ich nicht voran. Nantes könnte sogar wieder verlorengehen, auch …«
»An der Loire hast du nichts mehr zu tun«, sagte Chlodwig. »Was da noch zu erledigen ist, können andere besorgen. Ich brauche dich hier. Du bist ab heute Comes von Cambrai.«
Baddo blieb überrascht stehen.
»Wie? Ich soll nicht zurückkehren? Ich dachte, du hast mich nur herkommen lassen, um diese Festung zu stürmen.«
»Das hätte ich wohl auch allein geschafft.«
»Aber ich bin da unten unentbehrlich! Es gibt zu viele Plätze, die noch nicht sicher sind. Unser Vormarsch zur Küste könnte ins Stocken geraten.«
»Und auch die Vorstöße über den Fluss ins Gotengebiet!«, sagte der König ungehalten. »Leugne es nicht, ich weiß davon! Aber das ist gegen meine Absichten und meinen ausdrücklichen Befehl. Es ist zu früh, sich mit Alarich anzulegen! Ich brauche jetzt Frieden mit den Goten. Theoderich hat Odoaker beseitigt, er ist unumschränkter Herr von Italien, er könnte sich neuen Unternehmungen zuwenden. Und dem Alarich hat er seine Tochter verheiratet, sie sind nun enge Verbündete. Aber er hat noch keine Gesandtschaft geschickt, um meine Schwester nach Ravenna zu holen. Ich hätte im Augenblick beide gegen mich! Könnte ich das riskieren, wie? Nur wegen einer unbefriedigten Rache?«
»Ich verstehe nicht, was du meinst!«
»Du verstehst sehr gut! Du kannst nicht verwinden, dass du nur eine halbe Rache bekommen hast. Nur Syagrius, den ich selbst haben wollte. Die Griechin konnte ich dir nicht verschaffen. Du hast mich damals bestürmt, auch die Auslieferung dieser Frau zu verlangen. Doch warum hätte ich das tun sollen? Seit dem Augenblick, da ich Syagrius hatte, war sie für mich nicht mehr gefährlich, wenn sie es überhaupt jemals war. Und jetzt fange ich keinen Krieg an, um eine Frau zu fangen, die keine Gefahr bedeutet. Ich wünsche Ruhe an dieser Grenze … so lange jedenfalls, wie es die Lage erfordert. Ich will nicht durch unbedachte Vorstöße in einen Krieg gezogen werden, der mir den Garaus machen könnte. Deshalb kann ich dich dort nicht mehr brauchen!«
»Man hat mich bei dir verleumdet, Chlodwig! Ich würde doch nicht aus eigennützigen Gründen …«
»Lassen wir das! Viele große Unternehmungen wurden aus kleinen, eigennützigen Gründen begonnen. Manchmal glückten sie sogar. Aber in diesem Fall reichen die Gründe nicht aus. Deine Rache wird sich vielleicht von selbst erledigen. In Toulouse regiert jetzt eine Tochter Theoderichs. Wenn die nach ihrem Vater geraten ist, wird sie keine Nebenbuhlerin dulden.«
»Es könnte auch anders kommen«, sagte Baddo gepresst. »Ich traue Scylla jede Schändlichkeit zu. Auch den Mord an einer Königin, vielleicht sogar mit Billigung ihres Geliebten!«
»Des Alarich? Nun, das wäre dem Schwächling zuzutrauen. Und das würde die Lage natürlich entscheidend verändern. Dann könnten wir mit Theoderichs Beistand rechnen, wenn wir einschreiten wollten. Aber das sind Träumereien. Jetzt gibt es erst einmal etwas anderes zu tun. Auch für dich.«
»Als Comes von Cambrai?«, sagte Baddo verächtlich. »Was gäbe es da schon zu tun?«
»Sehr viel. Und ich bin sicher, du
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