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DIE MEROWINGER: Familiengruft

DIE MEROWINGER: Familiengruft

Titel: DIE MEROWINGER: Familiengruft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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wirst dabei große Befriedigung finden.«
    Diesmal war es der König, der den Gang durch die Halle unterbrach. Im unruhigen Licht einer Fackel standen sich die beiden Blutsbrüder gegenüber.
    Chlodwig neigte ein wenig den Kopf und wiederholte mit einem düsteren Lächeln: »Große Befriedigung!«
    Baddo blinzelte misstrauisch mit seinem einen Auge und verzog das Gesicht.
    »Worin sollte ich hier schon Befriedigung finden? Indem ich aus einer verdorbenen Bande wieder brauchbares Kriegsvolk mache?«
    »Das meine ich nicht.«
    »Soll ich Bären und Wölfe jagen?«
    »Jagen? Schon besser. Es gibt hier aber noch anderes Wild. Ein solches Wild ist mir gerade entkommen.«
    »Wovon sprichst du?«
    »Von Merowingern.«
    Chlodwig wartete einen Augenblick und genoss die Betroffenheit des anderen, bevor er leise hinzufügte: »Würdest du nicht gern Merowinger jagen?«
    Der Einäugige schwieg und rührte sich nicht.
    Auch Chlodwig stand reglos vor ihm, mit lauerndem Blick.
    Plötzlich sah Baddo an der Wand gegenüber den vergrößerten Schatten des Königs, der eine Bewegung machte, als zöge er die Axt aus dem Gürtel. Rasch trat er zwei Schritte zurück und griff nach seinem Dolch.
    Da lachte Chlodwig auf, wie schon so oft, wenn sie sich gegenseitig bis zur höchsten Spannung gereizt hatten.
    »Ich gebe zu«, sagte er, »diese Frage klingt wie ein übler Scherz. Und natürlich erwarte ich nicht von dir, dass du sie bejahst. Trotzdem meine ich, was ich sagte. Das Wild, das du jagen sollst, sind Merowinger.«
    Er warf Blicke in die vier Ecken der Halle, vergewisserte sich, dass niemand lauschte, und ließ sich dann an einem der langen Tische nieder.
    Den Ellbogen aufgestützt und das Kinn in der Hand, versank er eine Weile in Nachdenken.
    Noch immer wachsam, blieb Baddo stehen, den Rücken an den kühlen Stein einer Säule gelehnt.
    Aus der Ferne drang der Lärm des Lagers herüber. Die Nacht war schwül. Aus den Quartieren der Gefolgschaft hörte man streitende Männerstimmen und das schrille Gelächter von Frauen.
    »Mein Urahn Merovech«, sagte Chlodwig schließlich, »hat viele Söhne gezeugt. Vielleicht vierzig oder fünfzig. Die meisten starben gleich nach der Geburt oder kamen als Kinder irgendwie um. Aber nicht wenige blieben am Leben, wuchsen auf und zeugten wieder Söhne. Mein Großvater war einer von ihnen, und auch der hatte mehrere Söhne. Einer saß hier in Cambrai, ein anderer – mein Vater – in Tournai, und die Übrigen saßen ebenfalls irgendwo in dieser Gegend, auf früheren römischen Herrensitzen. Und die alle zeugten auch wieder Söhne, jeder gleich einen ganzen Wurf … wie viele, weiß ich nicht. Ich habe sie nicht gezählt, und die meisten habe ich niemals kennengelernt. Alles, was männlich ist in unserer Sippe, taugt zur Herrschaft. Wenn nur der Vater ein Nachkomme Merovechs ist, kommt es nicht darauf an, ob die Mutter Königin oder Köchin war. Alle, so wird behauptet, haben das Heil, und deshalb verlangen die Franken, von ihnen regiert zu werden. Das Volk ist töricht und abergläubisch. Es kann den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge nicht erkennen. Es glaubt, was ihm oft genug wiederholt wird. Warum ihm seinen Wahn nicht lassen? Er ist nützlich, denn er schafft Ordnung. Er verhindert, dass andere Sippen nach Macht streben. Wollte sich einer aus einer anderen Sippe zum König aufwerfen, blieben ihm keine drei Tage zu leben. Gut so! Aber auch schlecht. Warum? Es gibt zu viele Merowinger. Ein Strauch, der nicht beschnitten wird, wuchert. Verrottende Wurzeln, trockene Zweige, kränkliche Triebe … das alles behindert sein Wachstum. Die Sippe der Merowinger ist so ein wuchernder Strauch, und wenn ich ihn nicht beschneide, wird er bald eingehen. Wenn alle herrschen wollen, wird am Ende keiner mehr herrschen. Nur der edelste Trieb darf erhalten bleiben, alles andere muss weggeschnitten werden.
    Heute habe ich damit angefangen. Ich habe mit meiner Axt zwei faule Wurzeläste entfernt. Der dritte ist mir entgangen, aber auch der muss noch weg. Hast du mich gut verstanden? Du bist jetzt der Gärtner. Spüre sie auf, wo du sie vermutest! Entferne sie, wo du sie findest! Rotte sie aus! Nimm keine Rücksicht auf das Alter, auch das zarteste Knäblein wird mal ein Reißzahn. Sie sitzen hier überall, sogar noch hinter der Somme, bis zum Rhein hin. In Palästen, auf Burgen, auf großen Gütern, auf kleinen Gütern, in Städten, in Weilern. Sie heißen Childerich, Childebert, Chlodomer, Chloderich,

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