DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums
Structus sie führen sollten. Die beiden erhoben erst Einwände, weil sie sich damit für etwas bestraft sahen, was sie nicht zu verantworten hatten.
Besser würde es sein, so ihr Vorschlag, die drei Frankenkönige in die Festung zu holen. Mehr Eindruck würde es doch auch machen, wenn der Patricius selber ihnen die Befehle erteilte.
Aber Syagrius wollte davon nichts wissen. Er sei nicht bereit, erklärte er, sich das herrliche Fest durch solche Besucher verderben zu lassen. Außerdem würde es schwierig sein, deren Sicherheit in einer Stadt zu gewährleisten, die voller hasserfüllter, nach Rache dürstender Aristokraten steckte. Was aber würden die draußen tun, wenn ihre Häuptlinge nicht zurückkämen?
Leunardus und Structus, begleitet von einer kleinen Eskorte, machten sich also auf, um zu den Franken hinauszugehen, deren Vorhut inzwischen fast die Tore erreicht hatte. Sie sollten den Irrtum der Barbaren aufklären, ihnen Hilfe bei der Verproviantierung anbieten, auch notfalls Zelte für die Nacht zur Verfügung stellen. Gleichzeitig sollten sie den drei Königen den Befehl übermitteln, ihren Marsch unbedingt schon am nächsten Tag fortzusetzen. Dazu müssten sie auf der Straße nach Amiens, die im spitzen Winkel westlich von der aus Bavai verlief, wieder nach Norden marschieren. Von Amiens aus dann weiter zur Küste, wo sie auf ihren Feind treffen würden.
Der Patricius begab sich derweil in die große Halle, um seine Gäste zu beruhigen. Hier war es inzwischen zu tumultuarischen Szenen gekommen.
Mehrere Ausflügler von der Festungsmauer waren plötzlich halbtot hereingewankt – mitten hinein in Musik, Tanz und Weinseligkeit. Die Nachricht, die sie brachten, wurde missverstanden und wirkte schockartig. Man fürchtete, schon in der Falle zu sitzen. Man glaubte, von den Barbaren umstellt zu sein, die jeden Augenblick schwertschwingend, metzelnd hereinstürmen konnten.
Ein allgemeines Wehgeschrei erhob sich, und die vornehmen Konviven verloren den letzten Rest von Haltung. Betrunkene drängten zu den Türen und trampelten sich dabei gegenseitig rücksichtslos nieder. Andere gönnten sich einen letzten Genuss, indem sie den Wein gleich fassweise in sich hineinschütteten. Hysterische Damen zerrissen ihre Gewänder, schlugen sich verzweifelt die Brüste oder ergriffen Obstmesser und machten Anstalten, sich die Adern aufzuschneiden.
Diejenigen, die trotz allem noch Hoffnung hatten und vorsorgen wollten, klaubten hastig mit solchen Messern Juwelen aus ihren Ringen und Halsbändern und verschluckten sie. Unverfrorene junge Männer nutzten die lähmende Angst junger Damen, um sich mit ihnen noch schnell ein Späßchen zu gönnen.
Der Patricius hatte Mühe, sich Gehör zu verschaffen. Er musste erst von seinen Leibwächtern auf einen Tisch gewuchtet werden, bevor es gelang. Mit beschwörenden Gesten rief er zur Besonnenheit auf.
»Freunde! Freunde! Nehmt doch Vernunft an, Freunde, beruhigt euch! Habt keine Angst! Es sind gutherzige Barbaren! Es sind brave Barbaren! Es sind die besten Barbaren, die es gibt! Es sind römerfreundliche Barbaren! Sie werden niemandem etwas zuleide tun! Es sind die Franken, meine treuen Verbündeten, meine zuverlässigen Föderaten! Sie folgen meinem Befehl und wollen uns von der Plage des Ungeziefers befreien, das von Britannien herüberkommt und unsere Küste verseucht. Irrtümlich haben sie einen Umweg gemacht und werden deshalb in dieser Nacht draußen lagern, vor den Toren, auf freiem Feld. Kein Einziger wird die Stadt betreten! Aber morgen schon werden sie sich wieder aufmachen und sich freudig für uns in den Kampf stürzen. Beruhigt euch deshalb, Freunde, habt Vertrauen zu mir, ich bitte euch! Lasst euch nicht die Stimmung verderben! Amüsiert euch, das Fest geht weiter! Musik! Wo sind die Tänzerinnen, die Akrobaten? Man soll meine Gäste unterhalten!«
Aber daraus wurde nichts mehr.
In die einen Atemzug lange Stille, die dieser Ansprache folgte, stieß von irgendwoher der Schreckensruf: »Sie sind ja schon da! Sie sind in der Stadt!«
Kapitel 14
Es waren wohl an die hundert Männer, die unter den Halbsäulen des Portals erschienen und sich schweigend, gemächlichen Schrittes zur Mitte bewegten.
Einige Tische, die ihnen im Wege standen, wurden umgeworfen.
Die Gäste wichen vor ihnen zurück und drängten sich seitlich an die Wände. Auch sie waren stumm. Der Schreck verschlug allen die Sprache.
Drei Männer mit langen Haaren gingen an der Spitze des Haufens.
Der
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