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DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums

DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums

Titel: DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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Germanen geflohen waren.
    Hierher, in die letzte römisch gebliebene Zufluchtsstätte westlich des Balkans, kamen sie aus allen Richtungen: Munizipalbeamte, die von den Vandalen aus ihren fetten Pfründen in Mauretanien gejagt worden waren; Prokuratoren, die seit der Ankunft der Sueben in Spanien nichts mehr zu tun hatten; Offiziere, deren Truppen in Italien zum Usurpator Odoaker übergelaufen waren, geistliche Hirten, die in Süd- und Westgallien ihre Schafe an die Gefolgschaft des Häretikers Arius verloren hatten.
    Hier sammelten sie sich mit ihren vielköpfigen Familien und hastig zusammengerafften Reichtümern, hier pflegten sie ihr Selbstmitleid und ihren Hass und brüteten immer neue nutzlose Pläne aus.
    Jedes Mal, wenn ein Schub Emigranten eintraf, gab der Patricius ein Begrüßungsfest. Und dabei ließ er sich dann als den letzten Garanten des Römertums feiern.
    Diesmal kamen die meisten aus Pavia.
    Frau Titia umarmte beglückt eine Schwägerin und einen Neffen, der sich im letzten heldenmütigen Gefecht gegen den germanischen Unhold ausgezeichnet hatte.
    Es war auch eine Dame dabei, die direkt vom Kaiser Alexander Severus und seiner unglücklichen Gemahlin Gnaea Seia Herennia Sallustia Orba Barbia Orbiana abstammte und einen ebenso unaussprechlichen, überaus vornehmen Namen trug.
    Einige der Ankömmlinge waren seit Jahren unterwegs und hatten eine wahre Odyssee hinter sich. Über Regium, Lilybaeum, Neu-Karthago, vorüber an den Säulen des Herakles, entlang der Küste Lusitaniens und Aquitaniens waren sie per Schiff bis zur Loire-Mündung und schließlich auf einer letzten abenteuerlichen Landetappe hierhergelangt. Zwei Schiffe mit ihrer Habe waren verlorengegangen, eines im Sturm, das andere von Seeräubern gekapert. Die meisten waren nun auf die Wohltätigkeit des Patricius und ihrer glücklicheren Standesgenossen angewiesen.
    Einen Hoffnungsschimmer gab es zwar: Die Neuen brachten das Gerücht mit, der oströmische Kaiser Zeno plane die Rückeroberung Italiens. Aber es hieß auch, er wolle damit seinen Günstling Theoderich beauftragen. Ausgerechnet einen Goten! Wer dachte nicht mit Entsetzen daran, wie die Goten vor knapp achtzig Jahren in Rom gewütet hatten! Als einer der Festgäste auf diese Schrecken zu sprechen kam und nur den Namen des ersten Alarich erwähnte, fielen zwei Damen auf der Stelle in Ohnmacht.
    Doch dies war zunächst der einzige unangenehme Zwischenfall. Das Fest begann in friedfertiger, freundlicher Stimmung und in angemessener Prachtentfaltung. Vormittags gab es einen Dankgottesdienst für die Rettung der Flüchtlinge. Anschließend zog die Gesellschaft in die große Arena von Soissons zu einer Tierhetze, einem Vergnügen, an dem auch die Bevölkerung kostenlos teilnehmen durfte. Nach einer Ruhepause begann das Gelage.
    In der großen Halle des Palastes tafelten dreihundert Gäste. Jeder Geladene erhielt ein Geschenk, für das er ein Los zog. Da gab es dann manche heitere Überraschung, als zum Beispiel eine uralte Dame die äthiopische Tänzerin gewann und ein Glatzkopf ein golddurchwirktes Haarnetz in Empfang nahm.
    Das Mahl bestand aus fünfundzwanzig Gängen. Die Köche des Patricius gaben ihr Bestes, indem sie durch raffinierte Zubereitung einheimischer Gerichte die bei solchen Mahlen beliebten exotischen Delikatessen ersetzten, die nicht mehr zu beschaffen waren. Es gab Frikassee von Fischen und Vögeln, Huhn à la Fronto und à la Apicius, Kalbsfrikadellen, gekochtes Schweineeuter, Wildschweinkoteletts, Lamm, Zicklein und Hasen gedünstet und gepfeffert, zum Nachtisch Eiercreme und süße Weizengrütze mit Obst.
    Die Gäste langten gierig zu und stopften sich ungehemmt die Taschen voll, denn viele, wenn nicht die meisten, lebten trotz ihrer klangvollen Namen und hohen Verdienste am Rande des Elends.
    Die Dankbarkeit gegenüber dem Gastgeber kannte daher auch keine Grenzen. Ein Dichter unter den Emigranten trug eine Ode vor, in der Syagrius als »Schirm und Schutz des Romulusvolkes« und »gütiger Fürst, dessen Antlitz dem Menschen mild wie der Lenz erstrahlt« besungen wurde. Niemandem fiel auf, dass die meisten der Verse vom vor über fünfhundert Jahren gestorbenen Oberschmeichler Horaz gestohlen und ursprünglich für Augustus bestimmt waren. Unter allgemeinem Jubel wurde Syagrius zum »Retter des Vaterlands« ausgerufen und mit einem goldenen Lorbeerkranz geschmückt, den er freilich selber in Auftrag gegeben und bezahlt hatte.
    Es versteht sich, dass er auch seine

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