DIE MEROWINGER: Schwerter der Barbaren
Versprechungen gemacht hatte.
Chararich, der Tongerer, gab sich zwar unbeeindruckt von Chlodwigs verächtlichen Blicken, schwadronierte sogar von neuen Siegen, die er allein erringen wollte. Doch hütete er sich, durch allzu wüste Ausschweifungen den Unmut seines jungen Verwandten noch einmal herauszufordern. Aber was war das alles wert? Sie waren da, und sie waren lästig.
Er musste sie loswerden.
Kapitel 9
Am späten Vormittag dieses sechsten Tages nach der Eroberung von Soissons stand Chlodwig auf einem der Wachtürme des östlichen Mauerabschnitts und beobachtete den Ausmarsch der Cambraier und Tongerer zum täglichen Raubzug.
Neben ihm lehnte Baddo mit mürrischer Miene an der Brüstung. Er trug eine Binde über dem blinden Auge, die er so geschickt um den Kopf geschlungen hatte, dass auch das eingekerbte Ohr verdeckt war. Die Verwundung an seiner rechten Hand war jetzt sichtbar. Zwei Finger waren nur noch blutverkrustete Stümpfe. Ein Schwerthieb hatte die obersten Glieder abgehauen.
Sie schwiegen lange und folgten mit ihren Blicken den weit auseinandergezogenen Kolonnen. Nur die wenigsten der Männer dort unten marschierten zu Fuß. Viele saßen auf Beutepferden oder auf requirierten Bauernkarren. Manche waren noch immer oder schon wieder betrunken. Eilig hatten sie es nicht.
»Heute nehmen sie sich also den Osten vor«, sagte Chlodwig schließlich.
»Wie lange willst du das noch dulden?«, fragte Baddo rasch und so heftig, als habe er nur darauf gewartet, dass ihm der König das Stichwort gab. »Wie lange sollen die uns noch aufhalten? Brauchbar sind sie nicht. Du selbst hast gesagt, dass wir in Zukunft nicht auf sie zählen können. Sie schaden uns nur. Wir sitzen hier ihretwegen fest, damit sie nicht auch noch die Stadt verwüsten. Inzwischen hat Syagrius Zeit, neue Kräfte zu sammeln.«
»Das werden wir kaum verhindern können.«
»Ich rate noch einmal: Verfolge ihn! Mach ihn fertig! Lass ihn nicht erst zu Atem kommen!«
»Ich verstehe dich. Aber nicht so hastig. Dazu müsstest du mir erst frischen Schwertfraß besorgen. Unsere Vorräte reichen nicht.«
»Wieso? Es ist genug da.«
»Genug! Wir haben zweitausend Mann verloren, die Verwundeten mitgerechnet.«
»Zweitausend verloren. Viertausend gewonnen.«
Chlodwig sah Baddo verständnislos an.
»Du bist noch immer entschlossen, die Gefangenen zu verkaufen?«, fragte der Einäugige.
»Das bringt viel Geld. Es haben sich schon mehrere Händler gefunden, die das übernehmen wollen. In dieser Stadt scheint es von Sklavenhändlern zu wimmeln. Die Reiter aus deiner früheren Abteilung kannst du behalten, wie es ausgemacht ist. Aber du bist mir für sie verantwortlich. Wenn es Verräterei gibt … sieh dich vor!«
»Warum behältst du nicht die anderen auch?«
»Du meinst, alles, was übrig ist von den beiden Legionen?«
»Das meine ich. Von dem Geld, was du einnimmst, musst du die Neuen anwerben. Mit unseren fränkischen Bauernkriegern allein kannst du dein Reich nicht verteidigen. Du brauchst Söldner. Also werden es wieder Alamannen, Goten, Bretonen sein. Wozu der Aufwand? Wozu der Umweg? Die neuen Leute musst du erst suchen und trimmen. Die alten sind wenigstens erfahrene Kämpfer. Und du findest sie zweihundert Schritte von hier im Gefangenenlager. Die warten nur auf einen neuen Kriegsherrn. Wenn du ihnen die Sklaverei ersparst, bist du ihr Gott.«
Ein Bussard kreiste in großer Höhe. Chlodwig ließ sich von einem der Wachmänner einen Bogen geben, zielte sorgfältig, schoss den Pfeil ab. Er verfehlte den Vogel, fluchte, lehnte sich auf die Brüstung, schwieg.
»Wenn es auch Goten und Alamannen sind«, sagte er schließlich, »waren es römische Legionäre. Sie könnten bei der ersten besten Gelegenheit überlaufen.«
»Bezahle sie gut, dann sind sie zuverlässig.«
»Lange standgehalten haben sie auch nicht. Du selber hast mir gesagt, dass ihre Ausbildung nicht viel taugt.«
»Nimm sie in strenge Zucht. Droh ihnen an, wer seinen Arsch nicht bewegt, wird doch noch verkauft.«
»Wenn ich sie wieder bewaffne, sind sie genauso stark wie wir.«
»Du musst sie ja noch nicht gleich scharf bewaffnen. Gib ihnen erst einmal Übungsschwerter aus Holz. Davon ist in den Magazinen ausreichend Vorrat.«
»Und wer soll die Haufen befehligen? Haben wir Männer, die das können? Wer von den Unsrigen hat das Zeug, sich bei denen Respekt zu verschaffen?«
»Es genügt, wenn das einer hat – du, der König! Ernenne noch zwei Legaten aus deinem
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