Die Merowinger - Zorn der Götter
überzeugt, dass sein Sohn noch lebte und mit Sunnas Milch gerettet werden könnte.
Er sprang auf, rief nach seinen Leuten. Obwohl es schon spät war, befahl er die sofortige Abreise. Das Mahl, das für ihn bereitet war, ließ er stehen. Die Männer seiner Leibwache, die sich in Cambrai auf die Nacht eingerichtet und schon tüchtig dem Bier zugesprochen hatten, holten missmutig ihre Pferde von der Koppel und warfen ihnen die Satteldecken über. Er selber ließ sich ein Pferd zäumen, damit das Essedum nur Sunna befördern musste und damit leichter und schneller war.
Am späten Abend des nächsten Tages waren die knapp hundert römischen Meilen nach Soissons in rascher Fahrt zurückgelegt. Als die Stadt in Sicht kam, schon weit vor dem Tor, ließ der König den Wagen und die Eskorte hinter sich. Er ritt voraus zum Palast und stürmte die Treppe hinauf in die Gemächer der Königin.
»Lebt mein Sohn?«, schrie er.
»Er lebt noch, Herr«, sagte eine der Frauen. »Aber es geht nun zu Ende. Sieh doch …«
»Habt ihr ihm eine Amme bestellt?«
»Haben wir. Aber er nimmt nichts an.«
»Die Königin?«
»Ist in der Kirche. Die Ärmste fleht Tag und Nacht um Hilfe.«
»Von dort wird nichts kommen. Ich bin es, der Hilfe bringt!«
Er ging hinüber in die ehemalige Villa der Sabauder. Hier, in ihrer Kirche, fand er Chlotilde. Abgezehrt, übermüdet, mit wirren Haaren lag sie vor dem Altar. Einer der Geistlichen aus ihrer Umgebung leierte Psalmen. Chlodwig hob sie auf und zog sie hinter eine Säule. Sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Er erklärte ihr, wen er aus Cambrai mitgebracht hatte, um das Kind zu nähren. Sie sah ihn zornig an und wollte protestieren. Doch im selben Augenblick wurde sie ohnmächtig. Er konnte sie gerade noch auffangen.
In den folgenden achtzehn Tagen musste die Königin das Bett hüten, das sie nach ihrer Niederkunft zu früh verlassen hatte. Auch sie bekam Fieber, und immer wieder verlor sie das Bewusstsein. Endlich, am Morgen des neunzehnten Tages, ging es ihr besser. Kaum war sie erwacht, erschien eine kleine Prozession ihrer Frauen am Bett. Eine von ihnen hielt ihr ein Bündel entgegen. Es war ein fröhlich strampelnder rosiger Winzling.
»Dein Sohn Chlodomer, Herrin.«
Die Königin hob den Kopf. In ihr bleiches Gesicht kehrte in Augenblicksschnelle das Leben zurück. Ihre Augen, die schon stumpf, wie erloschen wirkten, bekamen Glanz. Sie streckte die Arme nach ihrem Kind aus. Doch im selben Augenblick besann sie sich.
Sie richtete ihren Blick nach oben und sagte nach einem tiefen Seufzer: »O Herr, mein Gott, wie soll ich dir danken, dass du meine Gebete erhört hast! Dass du in deiner unendlichen Güte mir und meinem Sohn das Leben zurückgabst! Dafür will ich dich lobpreisen bis an mein Ende. Und nicht ruhen will ich, bis auch mein Gemahl erkannt hat, dass wir dies herrliche Wunder nur deiner Gnade verdanken! Gelobt sei dein Name in Ewigkeit!«
Nun erst nahm sie ihren Sohn Chlodomer, zog ihn an sich und küsste ihn zärtlich.
Kapitel 11
Inzwischen war Chlodwig schon nach Berny zurückgekehrt, um den Krieg vorzubereiten. Der Frühling war bereits vorgeschritten, und wenn der König in diesem Jahr 496 noch etwas unternehmen wollte, wozu er entschlossen war, musste dies bald geschehen. Die Friedenszeit dauerte schon zu lange. Die Verluste des Heeres waren längst ausgeglichen. Die Schatztruhen in den Kellergewölben von Soissons und Berny mussten dringend aufgefüllt werden.
Ein König brauchte in jener Zeit den Krieg wie die Atemluft. Er musste freigebig sein, wenn er seiner Getreuen sicher sein wollte. Denn ihre Treue verdankte er seinem Heil. Dies aber bestand nicht darin, einen trägen und faulen Frieden zu pflegen. Sein Heil – das war seine Fähigkeit, zu handeln, Erfolg zu haben, immer wieder große, riskante und gefährliche Unternehmungen zu planen, durchzuführen und zum guten Ende zu bringen.
Ein guter König war der, der Beute machte und viel verteilen konnte. Treue rechnete sich auf gegen Geld, Geschenke, zum Nutzen überlassenes Land. Denn auch die Getreuen hatten wieder Getreue, die ihnen Dienste taten und die sie beschenken mussten. War der König zu knauserig, riskierte er Aufruhr. Ruhte er sich zu lange aus, unternahmen sie etwas auf eigene Faust, und er verlor an Macht und Einfluss.
Bei der Verteilung des eroberten Landes war es nicht immer nur gerecht zugegangen. Mancher verdienstvolle Mann war zu kurz gekommen und drängte, auch ihm seinen
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