Die Merowinger - Zorn der Götter
die Straße, über die Uferwiesen. Sie verschwanden im Wald, sie sprangen ins Wasser.
Die Franken verfolgten sie. Viele erwischten sie noch mit Lanzen und Pfeilen. Und mancher Flüchtende entging auch den Wurfbeilen nicht. Als wirbelnde, fliegende Ungeheuer verfolgten sie ihn, stießen auf ihn herab, drangen in seinen Kopf, seine Schulter, den Rücken ein.
Es war ein vollständiger Sieg.
Ein Sieg nach einer abrupten Wende, die den Ablauf der Schlacht auf den Kopf stellte. Seit sich Wodan mit Hugin, Munin, Geri und Freki über den Rhein verzogen hatte, war kaum eine Stunde vergangen.
Chlodwig wischte sich mit dem Ärmel das Blut von der Nase, blickte zum Himmel und sagte: »Verflucht, das war Hilfe in höchster Not. Hab Dank! Du kannst was, das muss man anerkennen! Chlotilde hat recht, unter den Göttern scheinst du der Stärkere zu sein. Jedenfalls werde ich mich erkenntlich zeigen. Verlass dich darauf, ich habe geschworen. Der König der Franken hält sein Wort!«
Murmelnd fügte er hinzu: »War ja eigentlich nur ein Versuch. Sieht aber so aus, als ob der wirklich der Bessere ist …«
Kapitel 15
Etwa ein Dreivierteljahr nach der Schlacht am Rhein empfing der heilige Avitus, Bischof von Vienne, ein geheimes Schreiben seines Amtsbruders, des heiligen Remigius von Reims.
Es war mit schwacher Tinte auf Pergament geschrieben und enthielt als Zusatz die Bitte, der Empfänger möge es nach der Lektüre unbedingt löschen und den Beschreibstoff weiter benutzen. Denn es könne trotz aller Sorgfalt, es zu verstecken, in die Hände Unbefugter gelangen, die seinen Inhalt als Ganzes, insonderheit aber bestimmte Einzelheiten missverstehen und als Feinde des rechten Glaubens für ihre niederen Zwecke ausbeuten würden.
Um ganz sicherzugehen, dass niemand anders als sein geschätzter Bruder es lese, habe der Absender es nicht, wie gewöhnlich, reisenden Geistlichen oder Mönchen, von denen manche immerhin ausreichend schriftkundig seien, sondern ganz ungebildeten Pilgern anvertraut, die in Rom den Segen des Nachfolgers Petri erbitten wollten. Sie hätten beim Heil ihrer Seele auf die heiligen Reliquien in der Kirche von Reims geschworen, es zuverlässig zu bestellen.
Das Schreiben lautete wie folgt.
»Gelobt sei Gott der Allmächtige, welcher herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Seine Augen schauen auf alle Menschenkinder, und seine Werke sind wunderbar.
Ich kann dir, teurer Bruder, voller Freude und Genugtuung mitteilen, dass die Zweifel und die Ungewissheit ein Ende haben. Am Weihnachtstag wurde es vollbracht! Der König der Franken, der nun auch über die Alamannen herrscht, ging hin zum Taufbad, um sich reinzuwaschen vom alten Aussatz und sich von den schmutzigen Flecken, die er von alters her hatte, im frischen Wasser zu befreien.
Als er vor mir in der Kirche erschien, sprach ich zu ihm: ›Beuge still deinen Nacken, Sicambrer! (Denn seine Ahnen gehörten zu diesem wilden germanischen Stamm.) Verehre, was du verfolgtest! Verfolge, was du verehrtest!‹ Worauf er sich in tiefer Demut über das Taufbecken beugte. Und so besprengte ich ihn mit geweihtem Wasser und taufte ihn im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und salbte ihn mit dem heiligen Öl unter dem Zeichen des Kreuzes Christi.
Welch ein erhabener Augenblick! O hättest du dabei sein können, mein Bruder, und miterleben, wie sich unsere heilige römische Kirche in dieser wahrhaft hochbedeutsamen Stunde durch den Beitritt des mächtigen Heidenkönigs erneuerte. Wir alle weinten vor Glück und Ergriffenheit, und du hättest mit uns geweint.
Dabei ging die Bekehrung König Chlodwigs wahrhaftig nicht ohne Mühsal und empfindliche Rückschläge vor sich. Ich hielt dich ja auf dem Laufenden, und du hast mich mehrmals zu Unrecht getadelt, weil wir deiner Meinung nach nicht zügig genug vorankamen. Ich hätte dich an meiner Stelle erleben mögen! Mit Hast und Gepolter, wie es deine Art ist, hättest du überhaupt nichts erreicht. Dagegen trug meine Strategie der allmählichen, stillen Einflussnahme am Ende die schönsten Früchte.
Zunächst aber muss ich unsere liebe, fromme Königin loben! Wie gut waren wir beide beraten, als wir damals in tiefster Besorgnis um die Zukunft unserer Kirche den Ausweg fanden: diese Heirat. Die Königin Chlotilde ließ, wie sie mir immer wieder versicherte, keinen geeigneten Augenblick verstreichen, sei es bei Tage oder bei Nacht, um ihrem Gemahl die Lehre des Evangeliums nahezubringen. Zweimal gelang es ihr ja
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