Die Merowinger - Zorn der Götter
südlichen und westlichen Teil seines Reiches ein Franke auf fünfzig gallische Romanen kommt und dass er keineswegs sicher sein könne, diese würden sich nicht eines Tages ihrer erdrückenden Übermacht bewusst werden. Würden sie aber einen christlichen König, einen Protektor des wahren Glaubens, bekämpfen und loswerden wollen? Müssten sie sich nicht davor fürchten, beim Jüngsten Gericht für solchen Frevel zu ewigen Qualen verdammt zu werden? Dieses Argument machte auf ihn einen starken Eindruck, und ich fügte hinzu, dass er auf diese Weise auch jedweder Opposition in der galloromanischen Aristokratie, der sämtliche Bischöfe angehören, die Grundlage und die Berechtigung nähme. Das gefiel ihm noch mehr.
Schließlich reizte ich seinen Appetit als Eroberer. Du bist ihm noch nie begegnet – glaube mir, in gewissen Augenblicken, wenn er sein Gegenüber starr und durchdringend anblickt, gleicht er einem hungrigen Wolf. Sein langer, hagerer Körper, sein wüstes graues Haar, seine schrecklichen Narben und Entstellungen (in der besagten Schlacht erlitt er nun auch noch einen Nasenbeinbruch) … das alles macht ihn wahrhaft furchterregend. Man könnte ihn für eine Inkarnation des Teufels halten – und nun stelle dir diesen Mann bei der Taufe im weißen Flügelgewand eines Engels vor! Ich musste mich während der Zeremonie die ganze Zeit sehr beherrschen, weil ich dauernd abwechselnd erschauerte und gegen den Lachreiz zu kämpfen hatte. Aber ich schweife ab, greife vor. Ich legte ihm also dar, dass seine Aussichten, neue Eroberungen zu machen, mit seiner Konversion sprunghaft ansteigen würden. Denn sehnsüchtig würden nun alle rechtgläubigen Christen in den von der arianischen Pest verseuchten Reichen der Westgoten und Burgunder nur noch auf ihn blicken und ihn als Befreier erwarten. Das gefiel ihm am besten, und gleich erinnerte er sich auch der Briefe, die ihm die Bischöfe aus den Städten südlich der Loire geschrieben hatten. Der Einmarsch dort war ja nur durch den Alamannenkrieg aufgehalten und verschoben worden. Um keine Zeit zu verlieren, gab er seinem tüchtigsten Feldherrn, dem Baddo, den Befehl, mit einem Teil des vom Rhein zurückgekehrten Heeres über die Loire zu gehen. Das hatte auch darin seinen Grund, dass die Truppe kurz vor einer Meuterei stand, weil ihr der ganze aufwendige Feldzug gegen die armen, elenden, selber beutelüsternen Alamannen kaum etwas eingebracht hatte. Chlodwig konnte deshalb die Alamannengebiete auch gar nicht besetzen, sondern musste sich mit einer förmlichen Unterwerfung begnügen.
Er wollte sich also im Westen schadlos halten. Leider misslang dem Baddo das Unternehmen vollkommen. Der Vormarsch mit den am Rhein stark geschwächten und durch Rekrutierungen Alter und Jugendlicher nur dürftig aufgefüllten Heerhaufen geriet (du hast sicher davon gehört) zum Desaster. Die Belagerung von Bordeaux musste abgebrochen werden. Auch Tours, einige Monate unter fränkischer Besatzung, wurde von den Westgoten zurückerobert. Wir verbreiten jetzt, dass Chlodwig selber in Tours am Grabe des heiligen Martin war und dort sogar seine Kompetenz erklärte, die Bereitschaft, Christ zu werden und das Sakrament der Taufe zu empfangen.
Das ist allerdings nur ein Beitrag zur frommen Legendenbildung. Er war nie dort und pflegte während des ganzen missglückten Feldzugs in Berny seine Wunden. Und hadert jetzt furchtbar mit dem Baddo, dem er die Schuld an allem gibt.
Auch dessen Zukunft sehe ich nur noch in trübem Licht. (Du weißt wohl, dass dieser Baddo ein abenteuerliches Leben geführt hat. Er ermordete vor zehn Jahren den römischen Aristokraten Ogulnius und wurde von Syagrius zum Verkauf in die Sklaverei verurteilt. Nachdem ihm die Flucht gelungen war, wurde er von seinem ›Blutsbruder‹ Chlodwig aufgenommen und brachte es bei ihm zu höchsten militärischen Ehren. Noch immer ist er ganz oben – aber wie lange noch?)
Leider verstärkte der Misserfolg gegen die Westgoten wieder die Zweifel des Königs. Die Königin Chlotilde und ich hatten unsere Not, jetzt Argumente zu finden. Wir versuchten, ihm klarzumachen, dass dies nicht ein Gegenschlag seiner beleidigten Götter sein konnte, deren Machtlosigkeit er ja erfahren hätte. Er sei ja auch gar nicht persönlich beteiligt gewesen. Und schließlich habe er, da noch ungetauft, nicht unbedingt einen Anspruch auf die Hilfe unseres Herrn. Deren könne er vielmehr nur sicher sein, wenn er die Taufe nicht länger
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