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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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auf die Felder hinaus. Er war grasbewachsen und schnurgerade.
    Am Wegesrand fand ich einen halb von Erde bedeckten Stein, hob ihn auf und wischte die Krumen ab. Es war ein Klumpen aus irgendeiner geschmolzenen, purpurnen Substanz und hatte einen eigenartigen Regenbogenschimmer. Ich steckte ihn in die Manteltasche und hielt ihn in der Hand, während ich weiterging. Er fühlte sich warm und beruhigend an.
    Der Fluss machte eine Biegung und verschwand zwischen den Feldern. Ich ging weiter durch die Stille.
    Ich war vielleicht eine Stunde gelaufen, ehe ich die ersten Häuser sah; neu und klein und kastenartig standen sie oben an der Böschung.
    Und dann entdeckte ich die Brücke und wusste, wo ich mich befand: Ich befand mich auf der alten Bahntrasse, war dieses Mal aus der anderen Richtung gekommen.
    Graffiti waren auf die Brückenmauer geschmiert: F uck und B arry liebt S usan und das allgegenwärtige NF der Nationalen Front.
    Ich stand unterhalb des roten Backsteinbogens der Brücke inmitten all der Eisverpackungen und Chipstüten und dem einsamen, traurigen gebrauchten Kondom und sah zu, wie mein Atem weiße Dampfwolken in der kalten Nachmittagsluft bildete.
    Das Blut an meinem Hosenbein war getrocknet.
    Über mir brausten Autos über die Brücke, aus einem hörte ich laute Musik dröhnen.
    »Hallo?«, sagte ich leise, verlegen, ich kam mir idiotisch vor. »Hallo?«
    Ich bekam keine Antwort. Der Wind ließ die Chipstüten und das Laub rascheln.
    »Ich bin zurückgekommen. Wie ich gesagt habe. Hallo?«
    Stille.
    Dann fing ich an zu weinen, wortlos, sinnlos schluchzte ich unter der Brücke.
    Eine Hand berührte mein Gesicht und ich sah auf.
    »Ich hätte nicht gedacht, dass du zurückkommst«, sagte der Troll.
    Er war jetzt nicht mehr größer als ich, aber davon abgesehen unverändert. Das lange Gonkhaar wirkte ungepflegt. Ein paar Blätter hingen darin. Die großen Augen waren voller Einsamkeit.
    Ich zuckte mit den Schultern und wischte mir mit dem Ärmel übers Gesicht. »Ich bin zurückgekommen.«
    Drei Kinder überquerten die Brücke über uns, schreiend und rennend.
    »Ich bin ein Troll«, sagte der Troll mit leiser, furchtsamer Stimme. »Fol rol de ol rol.«
    Er zitterte.
    Ich streckte die Hand aus, nahm seine riesige, klauenbewehrte Pranke und lächelte ihn an. »Es ist in Ordnung«, sagte ich ihm. »Wirklich. Es ist schon in Ordnung.«
    Der Troll nickte.
    Er drückte mich zu Boden zwischen die Blätter und Chipstüten und das Kondom und legte sich auf mich. Dann hob er den Kopf, öffnete sein Maul und fraß mit seinen großen starken Zähnen mein Leben auf.

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    Als er fertig war, stand der Troll auf und klopfte sich die Kleidung ab. Er steckte die Hand in seine Manteltasche und zog einen blasigen, verbrannte Steinklumpen hervor.
    Den reichte er mir.
    »Das ist deiner«, sagte der Troll.
    Ich sah ihn an. Er hatte mein Leben mühelos übergestreift, schien es vertraut und angenehm zu finden, als trage er es seit Jahren. Ich nahm den Schlackeklumpen aus seiner Hand und schnupperte daran. Ich konnte den Zug riechen, von dem er vor so langer Zeit herabgefallen war. Ich hielt ihn fest in meiner behaarten Pranke.
    »Danke«, sagte ich.
    »Viel Glück«, erwiderte der Troll.
    »Tja. Dir auch. Also dann …«
    Der Troll grinste mit meinem Gesicht.
    Er drehte mir den Rücken zu und schlug die Richtung ein, aus der ich gekommen war, zurück zum Dorf, zu dem leeren Haus, das ich an diesem Morgen verlassen hatte, und er pfiff vor sich hin, während er ging.
    Seitdem bin ich hier. Verstecke mich. Bin ein Teil der Brücke.
    Aus dem Schatten beobachte ich die Menschen, die vorbeikommen: ihre Hunde ausführen oder reden oder eben die Dinge machen, die Menschen so tun. Manche bleiben unter meiner Brücke stehen, um zu pinkeln oder sich zu lieben. Und ich beobachte sie, aber ich sage nie ein Wort und sie bemerken mich nicht.
    Fol rol de ol rol.
    Ich werde ganz einfach hier bleiben in der Dunkelheit unter dem Brückenbogen. Ich kann euch alle da draußen hören, trippel-trappel, trippel-trappel auf meiner Brücke.
    O ja, ich höre euch.

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    Aber ich werde nicht rauskommen.

Schachtelmännchen

    Niemand wusste, woher das Spielzeug kam, welchem Urgroßvater oder welcher entfernten Tante es gehört hatte, ehe es ins Spielzimmer gekommen war.
    Es war eine golden und rot bemalte Schachtel, wirklich hübsch und ziemlich wertvoll – jedenfalls behaupteten die Erwachsenen das – vielleicht sogar eine Antiquität. Das Schloss

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