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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Stimme klingt heiser. Der Pfleger gibt vor, ihn nicht zu verstehen. Er wiederholt es in seinem gebrochenen Portugiesisch. Der Pfleger schüttelte den Kopf.
    Rajit steht mühsam vom Bett auf – eine geschrumpfte Gestalt, so gebeugt, dass er beinah bucklig wirkt, und so zerbrechlich, dass man meint, eine Bö könne ihn umpusten – und er geht zur Wohnungstür.
    Der Pfleger versucht, ihn von seinem Vorhaben abzubringen, aber vergeblich. Also geht er mit ihm in die Diele und nimmt seinen Arm, während sie auf den Lift warten. Seit zwei Jahren hat Rajit das Apartment nicht verlassen, selbst vor dem Krebs ging er nie aus. Er ist fast blind.
    Der Pfleger geleitet ihn ins gleißende Sonnenlicht hinaus über die Straße und hinunter auf den Sand der Copacabana.
    Die Menschen am Strand starren den kahlköpfigen, verfaulten alten Mann in seinem uralten Pyjama an, der sich mit farblosen, einst braunen Augen durch flaschendicke, dunkel umrandete Brillengläser umsieht.
    Er erwidert ihr Starren.
    Sie sind golden und schön. Manche schlafen in der Sonne. Die meisten sind nackt oder tragen die Art von Badebekleidung, die ihre Nacktheit betont.
    Da erkennt Rajit sie.
    Später, viel später drehten sie eine zweite Filmbiografie. In der Schlussszene fällt der alte Mann am Strand auf die Knie, so wie es in Wirklichkeit auch geschah, Blut tröpfelt aus dem offenen Schlitz seiner Pyjamahose, verfärbt den ausgebleichten Baumwollstoff und versickert dunkel im weichen Sand. Er starrt sie alle an, schaut voller Ehrfurcht von einem zum anderen wie ein Mann, der gelernt hat, in die Sonne zu blicken.
    Er sagte nur ein einziges Wort, als er starb, umgeben von diesen goldenen Menschen, die nicht Männer waren und nicht Frauen.
    Er sagte: »Engel.«
    Und die Leute, die die Filmbiografie sahen, so golden, so schön, so verwandelt wie die Menschen am Strand, wussten, dass damit alles gesagt war.
    Und in jeder Weise, die Rajit hätte begreifen können, war es das auch.

Tochter der Eulen

    In T he R emains of G entilisme & J udaisme von J ohn A ubrey , Regiae Societatis Socius (1686–87), (S. 262 f.)

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    Ich hörte diese Geschichte von meinem Freunde Edmund Wyld, Esquire, welcher sie von Mr. Fahrringdom bekam, der widerum uns sagte, schon zu seiner Zeit sei sie alt gewesen. In der Stadt Dymton wurde eines Nachts ein neu geborenes Mägdelein auf den Stufen zur Kirchentür ausgesetzt, welches der Küster am nächsten Morgen fand, und es hielt ein gar seltsames Ding, videlicet : das Gewölle einer Eule, welches, da man es untersuchte, dem Gewölle einer Kreischeule gleich schien, nämlich aus Haut und Zähnen und Knöchelein bestand.
    Die alten Weiber der Stadt sagten, dies Mägdelein sei gewiss die Tochter der Eulen und müsse verbrannt werden, da es von keiner Frau geboren sei. Doch die Weisen und Graubärte verfügten anders und man brachte das Kindelein hinauf ins Kloster (denn all dies geschah kurz nach der Papistenzeit und das Kloster lag verlassen, denn die Leute glaubten, es sei dies ein Ort des Teufels und seiner Diener, und Käuze und Kreischeulen und viele Fledermäuse hatten im Turme ihre Nester gebaut) und dort überließ man es sich selbst. Nur einmal am Tage ging eines der Weiber der Stadt hinauf zum Kloster und fütterte das Kindlein.
    Viele sagten vorher, es werde sterben, doch so kam es nicht. Stattdessen wuchs es heran, bis es eine Magd von dreizehn Sommern war. Sie war das liebreizendste Geschöpf, welches ihr je erblicktet, ein wahrhaft schönes Kind, das seine Tage und Nächte hinter hohen Mauern verbrachte und niemanden sah als allein das Weib aus der Stadt, welches an jedem Morgen hinaufging. An einem Markttage schließlich geschah es, dass jenes Weib gar zu laut die Schönheit des Kindes rühmte & auch berichtete, dass es des Sprechens nicht mächtig sei, da man es nie unterwiesen hatte.
    Die Männer von Dymton, die Graubärte ebenso wie die Jünglinge, sprachen miteinander und sagten: Wenn wir sie besuchten, wer sollte je davon erfahren? (Und mit besuchen meinten sie, dass sie ihr Gewalt antun wollten).
    Und so schmiedeten sie folgenden Plan: dass nämlich das Mannsvolk gemeinsam auf die Jagd gehen sollte, wenn der Mond voll war. Und als jene Nacht kam, schlichen sie sich aus ihren Häusern fort und trafen sich bei jenem Kloster und der Vogt der Stadt sperrte die Pforte auf und einer nach dem anderen schlüpften sie hinein. Sie fanden das Mägdelein im Keller versteckt, denn vom Lärme war ihm ganz bang

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