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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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der ländlichen Idylle vergangener Tage vor, die bei Sonnenuntergang ihre fetten Ochsen von den frisch gepflügten Feldern führten, weil er inzwischen mit Freuden und nur ein bisschen fremder Hilfe einen ganzen Ochsen hätte vertilgen können.
    »Hier, bitte. Ihr Ploughman’s«, sagte die Kellnerin und stellte einen Teller vor ihn.
    Dieses Ploughman’s war eine herbe Enttäuschung: ein rechteckiges Stück eines scharf schmeckenden Käses, ein Salatblatt, eine unterentwickelte Tomate mit einem Daumenabdruck darauf, ein Häuflein einer breiartigen braunen Masse, die wie saure Marmelade schmeckte, und eine kleine, harte, altbackene Semmel. Ben war schon vorher zu der Erkenntnis gekommen, dass die Briten Essen offenbar als eine Art Strafe betrieben. Mühsam kaute er auf dem Käse und Salatblatt und verfluchte jeden Pflüger in England, der sich mit so einem Schweinefraß zufrieden gab.
    Die Männer in den grauen Regenmänteln, die in der Ecke saßen, beendeten ihr Dominospiel, brachten ihre Gläser zu Ben herüber und setzten sich zu ihm. »Was trinken Sie da?«, fragte einer von ihnen neugierig.
    »Es heißt Kirschlimonade«, erklärte er. »Es schmeckt, als komme es aus einer Chemiefabrik.«
    »Interessant, dass Sie das sagen«, erwiderte der kleinere der Männer. »Wirklich interessant, dass Sie das sagen. Weil ich hatte nämlich mal einen Freund, der in einer Chemiefabrik gearbeitet hat, und der hat nie Kirschlimonade getrunken .« Er legte eine dramatische Pause ein und nippte dann an seinem braunen Gesöff. Ben wartete, dass er fortfuhr, aber offenbar kam nichts mehr. Die Konversation war versiegt.
    Ben bemühte sich, höflich zu wirken, und fragte deshalb: »Und was trinken Sie da?«
    Der größere der beiden Fremden, der trübsinnig vor sich hin gestarrt hatte, schien plötzlich deutlich fröhlicher. »Das ist aber wirklich furchtbar freundlich von Ihnen. Für mich ein Shoggoth’s Old Peculiar, bitte.«
    »Für mich auch«, sagte sein Freund. »Ich könnt ein Shoggoth’s so runterschütten. He, ich wette, das wär ein guter Werbeslogan. ›Ich könnte ein Shoggoth’s so runterschütten‹. Ich sollte mal hinschreiben und es vorschlagen. Die wären bestimmt froh.«
    Ben ging zum Tresen mit der Absicht, die Kellnerin um zwei Pints Shoggoth’s Old Peculiar und ein Glas Wasser für sich selbst zu bitten, doch sie hatte schon drei Gläser mit dem dunklen Bier gefüllt. Na ja, warum nicht aufs Ganze gehen , dachte er. Es konnte bestimmt nicht schlimmer schmecken als die Kirschlimonade. Er probierte einen Schluck. Das Bier hatte einen Geschmack, den Werbeleute, so vermutete er, wohl als vollmundig beschreiben würden, obwohl sie bei genauerem Nachfragen einräumen müssten, dass der fragliche Mund wenigstens zur Hälfte mit Ziegenfleisch gefüllt wäre.
    Er bezahlte für die drei Biere und brachte die Gläser zu seinen neuen Freunden zurück.
    »Und was treiben Sie hier in Innsmouth?«, fragte der Größere. »Ich nehme an, Sie sind einer unserer amerikanischen Vettern und sind gekommen, um sich das berühmteste englische Dorf anzusehen.«
    »Das in Amerika wurde nach diesem hier benannt, wissen Sie«, fügte der Kleinere hinzu.
    »Gibt es ein Innsmouth in den Staaten?«, fragte Ben.
    »Das will ich meinen«, erwiderte der kleine Mann. »Er hat ständig darüber geschrieben. Er, dessen Namen wir nicht nennen.«
    »Wie bitte?«, sagte Ben.
    Der Kleine sah über die Schulter und zischte dann ziemlich laut: »H.P. Lovecraft!«
    »Ich hab dir doch gesagt, du sollst den Namen nicht aussprechen«, schimpfte sein Freund und trank an seinem dunkelbraunen Bier. »H.P. Lovecraft. H.P. Blödmann Lovecraft. H. Blödmann P. Blödmann Love Blödmann craft.« Er unterbrach sich, um Atem zu schöpfen. »Was wusste der schon, he? Ich meine, was wusste der denn schon?«
    Ben nippte an seinem Bier. Der Name kam ihm vage bekannt vor. Beim Durchwühlen der alten Vinylschallplatten ganz hinten in der Garage seines Vaters war er darüber gestolpert. »War das nicht eine Rockband?«
    »Ich rede von keiner Rockband. Ich meine den Schriftsteller.«
    Ben hob die Schultern. »Nie gehört«, gab er zu. »Ich lese eigentlich nur Western. Und technische Handbücher.«
    Der kleine Mann stieß seinen Freund an. »Da, Wilf. Hast du das mitgekriegt? Er hat nie von ihm gehört.«
    »Na ja. Ist nichts gegen einzuwenden. Ich hab früher auch diesen Zane Grey gelesen«, antwortete der Größere. »Auch wenn das nichts ist, worauf man besonders stolz

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