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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Geschlechtsumwandlung, die Reboot verursachte, nie als etwas anderes denn eine Nebenwirkung. Er erhielt den Nobelpreis für den Durchbruch in der Krebsbekämpfung. (Reboot – unter diesem Markennamen war das Medikament auf den Markt gekommen – war gegen die meisten Krebsarten wirksam, stellte sich heraus, aber nicht gegen alle).
    Für einen Mann seines Intellekts war Rajit bemerkenswert kurzsichtig. Es gab ein paar Kleinigkeiten, die er nicht voraussah. Zum Beispiel:
    Dass es todkranke Krebspatienten gab, die lieber sterben wollten, als eine Geschlechtsumwandlung zu erfahren.
    Dass die katholische Kirche gegen Rajits Chemiekeule ins Feld ziehen würde, vor allem weil die Geschlechtsumwandlung den weiblichen Körper veranlasste, beim »Rebooting« das Fleisch eines Fötus zu reabsorbieren, da Männer nun einmal nicht schwanger sein konnten. Eine ganze Reihe religiöser Sekten ging gegen Reboot auf die Barrikaden, vornehmlich auf Genesis 1,27 gestützt: »Als Mann und Frau schuf er sie«.
    Zu den Sekten, die sich gegen Reboot richteten, zählten der Islam, die Christliche Wissenschaft, die russisch-orthodoxe Kirche, die römisch-katholische Kirche (in der jedoch auch einige anderer Meinung waren), die Mun-Sekte, die orthodoxe Trek-Fangemeinde, der orthodoxe Judaismus und die fundamentalistische Allianz der USA.
    Sekten, die sich für eine Behandlung mit Reboot aussprachen, wenn ein qualifizierter Mediziner dazu riet, waren: die meisten buddhistischen, die Kirche der Heiligen der letzten Tage, die griechisch-orthodoxe Kirche, Scientology und die anglikanische Kirche (in der jedoch auch einige anderer Meinung waren), die neue Trek-Fangemeinde, der liberale und reformierte Judaismus und die New-Age-Koalition von Amerika.
    Sekten, die die Einnahme von Reboot nur zum Zwecke der Rekreation befürworteten: keine.
    War Rajit sich auch durchaus darüber im Klaren, dass Reboot operative Geschlechtsumwandlungen obsolet machen würde, kam ihm doch nie der Gedanke, dass irgendwer es einfach nur aus Lust oder Neugierde oder als Mittel zur Flucht einnehmen könnte. Daher sah er auch nicht vorher, welch ein Schwarzmarkt sich für Reboot und ähnliche Mittel entwickeln sollte, geschweige denn dass kaum fünfzehn Jahre nach der Zulassung und Vermarktung von Reboot der illegale Handel mit auf Reboot basierenden Designer-Drogen ( Bootlegs genannt) die Umsätze mit Heroin und Kokain um mehr als das Zehnfache übersteigen sollte.

    VII.
    In einigen der neukommunistischen Staaten Osteuropas stand auf den Besitz von Bootlegs die Todesstrafe.
    Es hieß, in Thailand und der Mongolei werden Jungen zwangsweise mit Reboot in Mädchen umgewandelt, um ihren Marktwert als Prostituierte zu steigern.
    In China wurden neu geborene Mädchen zu Jungen rebooted; chinesische Familien zahlten ihre gesamten Ersparnisse für eine einzige Dosis. Die alten Leute starben weiterhin an Krebs. Die resultierende Geburtsratenkrise wurde zu spät als Problem erkannt und die drastischen Maßnahmen, die die Folgen eindämmen sollten, waren nur schwierig durchzusetzen und führten schließlich zur erneuten, totalen Revolution.
    Amnesty International berichtete von Besorgnis erregenden Zwischenfällen in mehreren der panarabischen Länder: Männer, die nicht zweifelsfrei beweisen konnten, dass sie männlich geboren und nicht etwa einstige Frauen waren, die dem Schleier entkommen wollten, wurden inhaftiert und in vielen Fällen vergewaltigt und ermordet. Die Führer der arabischen Welt dementierten, dass dergleichen geschehe oder je geschehen sei.

    VIII.
    Rajit ist in den Sechzigern, als er im New Yorker liest, das Wort »Wandel« habe eine Konnotation tiefster Unanständigkeit angenommen und sei nahezu tabu.
    Schulkinder kichern verlegen, wenn sie in der Literatur aus den Epochen vor dem einundzwanzigsten Jahrhundert Wörtern wie »Gesinnungswandel«, »Wandelröschen« oder »Lustwandeln« begegnen. Im Deutschunterricht der Oberstufe einer Schule in Norwich wird die Behandlung des Kunstmärchens Piktors Verwandlungen von der Schülerschaft mit zotigen Verhöhnungen abgeschmettert.
    Ein namhaftes Mitglied der King’s English Society schreibt einen Brief an die Times , in dem er beklagt, dass wieder einmal ein absolut taugliches Wort aus der englischen Sprache zu verschwinden droht.
    Einige Jahre später wird ein Jugendlicher in Streatham strafrechtlich belangt und rechtskräftig verurteilt, weil er ein TShirt mit dem Aufdruck ICH FÜHL MICH WIE VERWANDELT getragen

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