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Die Messerknigin

Titel: Die Messerknigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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erfahren.
    Sie sagten mir, die Frau gebe es nicht.
    Jedenfalls nicht in der Form, dass man ihrer irgendwie habhaft werden könne. Sicher, beide wussten sofort, welches Mädchen ich meinte. Aber, wie einer mir versicherte, es war »verdammt seltsam«. Sie war zu ihnen gekommen. Sie hatten ihr ein Honorar bezahlt und die Bilder verkauft. Nein, sie hatten ihre Adresse nicht.
    Ich war sechsundzwanzig und kein Idiot. Ich kapierte sofort, was hier gespielt wurde: die wollten mich an der Nase herumführen. Vermutlich hatte irgendeine andere Agentur sie unter Vertrag genommen, plante eine große Kampagne mit ihr und bezahlte die Fotografen, damit sie nichts ausplauderten. Ich fluchte und beschimpfte sie am Telefon. Ich machte unhaltbare finanzielle Angebote.
    Verpiss dich, sagten sie mir.
    Und im Monat darauf war sie wieder im Penthouse . Es war längst kein psychedelisches Spannerblättchen mehr, sondern hatte mehr Klasse. Den Mädchen waren Schamhaare gewachsen und in ihren Augen lag ein männerhungriges Glitzern. Weichzeichnerfotos zeigten Männer und Frauen eng umschlungen in Kornfeldern – rosa Fleisch vor goldfarbenem Hintergrund.
    Ihr Name, sagte die Bildunterschrift, sei Belinda. Sie war Antiquitätenhändlerin. Es war Charlotte, kein Zweifel, nur war ihr Haar jetzt dunkel und zu üppigen Löckchen aufgetürmt. Der Text nannte auch ihr Alter: neunzehn.
    Ich rief meinen Kontakt beim Penthouse an und bekam den Namen des Fotografen: John Felbridge. Ich rief ihn an. Er behauptete genau wie die anderen, nichts über sie zu wissen, aber inzwischen hatte ich dazugelernt. Statt ihn durchs Telefon anzubrüllen, gab ich ihm einen Job, einen ziemlich lukrativen Auftrag: Werbeaufnahmen von einem kleinen Jungen, der ein Eis löffelte. Felbridge war langhaarig, Ende dreißig und trug einen mottenzerfressenen Pelzmantel und Turnschuhe ohne Schnürsenkel, aber er war ein guter Fotograf. Nach dem Shooting lud ich ihn auf ein Bier ein und wir redeten über das lausige Wetter, Fotografie, Dezimalwährung, seine Arbeit und Charlotte.
    »Du hast also die Bilder im Penthouse gesehen, sagst du, ja?«, fragte Felbridge.
    Ich nickte. Wir waren beide leicht angetrunken.
    »Ich werd dir was erzählen über dieses Mädchen. Sie ist der Grund, warum ich mit dem Glamourzeug aufhören und ein anständiger Fotograf werden will. Sie sagte, ihr Name sei Belinda.«
    »Wie hast du sie kennen gelernt?«
    »Dazu komm ich ja gerade, okay? Ich dachte, sie wär von irgendeiner Agentur, verstehst du? Sie klopft an die Tür und ich denk heilige Scheiße! und bitte sie rein. Sie sagt, sie kommt von keiner Agentur, sondern sie verkauft …« Er runzelte verwirrt die Stirn. »Ist das nicht komisch? Ich habe vergessen, was sie verkauft. Vielleicht war es doch nicht Verkauf. Weiß nicht mehr. Demnächst vergess ich noch meinen eigenen Namen.
    Ich wusste sofort, dass sie was Besonderes war. Ich frag sie, ob ich sie fotografieren darf, sag ihr, alles ist koscher, keine Hintergedanken, und sie war einverstanden. Klick! Fünf Filme in null Komma nichts. Kaum sind wir fertig, zieht sie ihre Klamotten wieder an und geht zur Tür. ›Was ist mit deinem Geld?‹, frag ich sie. ›Schick es mir‹, sagt sie und schon ist sie die Treppe runter und weg.«
    »Also hast du ihre Adresse?«, fragte ich und versuchte, mein Interesse aus meiner Stimme herauszuhalten.
    »Nein. Verdammter Mist. Ich hab das Geld beiseite gelegt, weil ich irgendwie hoffe, sie kommt noch mal wieder.«
    Ich entsinne mich, dass mir außer meiner Enttäuschung die Frage in den Sinn kam, ob sein Cockney-Akzent echt oder eine Masche war.
    »Aber worauf ich hinauswollte, war das: Als die Bilder zurückkamen, da wusste ich … na ja, was Titten und Ärsche anging, nein, was das Fotografieren von Frauen überhaupt anging, hatte ich alles geseh’n und erlebt. Sie war die Weiblichkeit, verstehst du? Und ich hatte sie fotografiert. Nein, nein, ich hol dir noch einen. Meine Runde. Bloody Mary, stimmt’s? Ich muss sagen, ich freu mich auf unsere zukünftige Zusammenarbeit …«
    Es gab keine zukünftige Zusammenarbeit.
    Die Agentur wurde von einer größeren, etablierteren Firma geschluckt, die unsere Umsätze wollte. Unsere Initialen wurden den ihren einverleibt und sie behielten ein paar von den guten Textern, aber der Rest von uns landete auf der Straße.
    Ich ging zurück in meine Wohnung und wartete darauf, dass die Jobangebote zu strömen begannen, doch es tat sich nichts; aber eines Abends spät fing

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