Die Messermacher (German Edition)
und Rüdiger gemeinsam geschäftlich in Japan auf einer großen Messer-Ausstellung gewesen. Ein paar namhafte Firmen hatten unter anderem auch erfolgreiche deutsche Unternehmen eingeladen und wie es dort so üblich ist, wurden die Gäste aufs Feinste bewirtet und jedem männlichen Gast wurde eine junge Japanerin zugeteilt, die sich fürsorglich um ihn zu kümmern hatte. Dass manch einer nicht nein sagte, wenn es darum ging, die Dame mit auf sein Zimmer zu nehmen, war ja klar, doch Rüdiger und Reno hatten sich so sehr dagegen gesträubt, dass man sie irgendwann, zwar etwas beleidigt, in Ruhe gelassen hatte und sie zu später Stunde alleine an der Bar zurückgeblieben waren. Es hatte sich dann (auch wegen der Unmengen an Alkohol) ergeben, dass sie sich eingestanden, dass sie beide schwul und schon lange verliebt ineinander waren. Sie hatten es bisher nur nicht wahrhaben wollen und hatten es immer verdrängt. Immerhin war Reno 20 Jahre älter und bisher wie ein Vater zu Rüdiger gewesen. Aber seit diesem Abend waren sie ein Liebespaar und unter einem geschäftlichen Vorwand konnten sie sich mindestens einmal im Monat sehen. Niemand hatte bisher Verdacht geschöpft und Adele war froh, dass ihr Mann sie seither gänzlich in Ruhe ließ. Warum das so war, daran hatte sie nie auch nur einen Gedanken verschwendet.
Erst als Adele so krank geworden war und Reno es kaum noch schaffte, Rüdiger regelmäßig zu besuchen, war ihr Verhältnis deutlich abgekühlt. Reno hatte sich immer mehr zurückgezogen, doch Rüdiger wollte das nicht akzeptieren. Während Reno über all dies nachgrübelte und darüber versuchte, endlich einzuschlafen, drängten sich ihm im Halbschlaf ein paar Szenen auf, die ihn so beunruhigten, dass er hochfuhr, seine Beine aus dem Bett schwang und sich erregt durch die Haare fuhr.
Was waren das nur für abscheuliche und wirre Gedanken, die da durch seinen Kopf rasten?
Er versuchte, sich zu konzentrieren und so allmählich kam Klarheit in seine Gehirnwindungen. Er war letzte Woche mal wieder in seiner Stammkneipe, einer Schwulenbar in München gewesen, als er dort ein paar Lieferanten besucht hatte. Dort hatte er einen Typen kennengelernt, der ihm täuschend ähnlich sah. Jetzt sah er ihn wieder deutlich vor sich! Dieser Kerl sah aus wie sein Zwillingsbruder, und zwar ein Eineiiger, nur dass er blond gefärbte Haare hatte. Er war etwas schlanker als Reno und hatte kleinere Füße, aber sonst sahen sie sich wirklich zum Verwechseln ähnlich. Undeutlich erinnerte sich Reno daran, dass er mit diesem Typen ins Gespräch gekommen war und dass sie wahnsinnig viel getrunken hatten. Ihm ging es zu dieser Zeit nicht gut. Er machte sich große Sorgen um die Gesundheit seiner Frau und Rüdiger nervte extrem, weil er ihn in den letzten vier Monaten nur einmal kurz besucht hatte und sie nicht im Bett gelandet waren. Aber was er dem Fremden alles erzählt hatte und wie der Abend geendet hatte, das wusste Reno nicht mehr. Er hatte einen absoluten Filmriss und konnte sich an gar nichts mehr erinnern. Nur eines erschien ihm nun seltsam. Obwohl er diesen 500 Euro-Schein von seinem Kunden bekommen hatte, hatte er nach dieser Tour nur noch diesen einen Schein im Geldbeutel. Was war mit den 1000 Euro passiert, die er noch dabei gehabt hatte? Hatte er noch was in München gekauft oder war er beklaut worden? Es wollte ihm einfach nicht mehr einfallen!
Aber das war ja auch egal. Er hatte sich vorgenommen, nie mehr in diese Kneipe zu gehen und seine Neigungen ab heute komplett zu ignorieren. Mit 74 Jahren war der Sex nicht mehr ganz so wichtig, das redete er sich zumindest ein, und dieses ständige Versteckspiel war er inzwischen so was von leid – er konnte und wollte nicht mehr. Aus und vorbei! Er würde nun versuchen, sich sein Leben ohne seine Frau so gut wie möglich einzurichten und sich soweit es seine Augen zuließen, weiter in die Arbeit stürzen. Mit diesen Gedanken schlief er endlich ein und versank in einen unruhigen Schlaf, der ihm grässliche Albträume bescherte, die ihn zwar ein paar Mal schweißgebadet aufschrecken ließen, er sich aber nie an die Geschehnisse in den Träumen erinnern konnte. Darüber war er sehr froh, er wollte gar nicht wissen, was er geträumt hatte – irgendwie hatte er Angst davor, dass diese Träume ihm etwas zeigen würden, das er aber unter keinen Umständen sehen wollte!
12
„Herr Kiss! Kommen Sie mal kurz zu mir!“, rief Frau Müller-Harnisch und Joska, der gerade
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