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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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macht jede Familienplanung unmöglich… Ist das nicht seltsam? Bislang hat sich niemand Gedanken darüber gemacht, wie man einen Nutzen aus der Situation ziehen könnte.»
    «Nutzen?»
    Er antwortete nicht darauf. Duval lief ein Schauder über den Rücken, als er sich vorzustellen versuchte, auf welche Art von Gedanken ein jugendlicher Phantast verfallen konnte, in einem Grenzland in der Ödnis, das unvorstellbar reich bevölkert war. Die Mechanismen einer Prähistorie sind zu spannend, dachte er. Vielleicht hätte er sich besser die Maschinen angesehen.
    Plötzlich war ihm Folgendes aufgefallen: Dieser junge Mann hatte keine Geheimnisse, sein ganzes Wesen gab sich ohne Falsch dem zufälligen Betrachter hin, und das war aufgrund einer ganz und gar fatalen Notwendigkeit so. Ja, er könnte die ganze Welt bereisen und würde doch nichts anderes sehen: Die Menschen besaßen kein Geheimnis. Sie hatten nie eines besessen – gerade das machte sie zu Menschen. In genau dem Augenblick seines Lebens, da ihm diese Erkenntnis kam, spürte er ein starkes, befreiendes Erstaunen. Es erstaunte ihn, dass man nicht nach Laputa oder Pringles gehen musste, um nach Orakeln zu suchen. Was für ein gewaltiger Unsinn!
    Das Abendessen war üppig, und diesmal fand es im Hauptspeisesaal des Forts statt, im Beisein des gesamten Offizierskorps in Galauniform und mit weißen Handschuhen. Die Indianer machten Musik, und es wurde ausgiebig getrunken. Da der Oberst lange schlief und sie im Morgengrauen aufbrechen würden, verabschiedeten sie sich gleich dort; Lavalle für wenige Monate, denn er reiste gewöhnlich mit Depeschen in die Hauptstadt; der Ingenieur hingegen für die ganze Zeitspanne seines Vertrages, der über ein Jahr ging.
    «Dann sehen wir uns also heute in zwölf Monaten wieder», sagte Oberst Leal und fügte hinzu: «Für Sie wird es eine unvergessliche Erfahrung sein; ich denke, Sie sind in der Lage, die besten Lehren daraus zu ziehen.»
     
     
    Am nächsten Morgen hatten sie Azul nach wenigen Stunden aus den Augen verloren und fanden sich in der Einsamkeit der Pampa wieder, die noch ebener und leerer war als vorher. Das Einzige, was ihnen, jeden dritten oder vierten Tag, die unermessliche Weite erträglicher machte, war ein riesengroßer Ombu-Baum, der immer vereinzelt stand. Die Ombu-Bäume waren seltsame Pflanzen, von der Atmosphäre verformt, ähnlich dem Affenbrotbaum, wenn auch viel niedriger, mit großen müden Zweigen, die sich auf die Erde stützten, und giftigen Blättern in einem fast schwarzen Grün.
    Die Reise verlief weiterhin völlig eintönig, nur dass jetzt die Zahl der Nachtwachen erhöht wurde, da sie sich auf Indianerterritorium befanden. An den klareren Tagen konnten sie die blaue Linie der Berge am Horizont ausmachen, und ein ums andere Mal vermeinten sie Reiter in der Ferne zu sehen, im schillernden Licht, aber sie verschwanden, sobald sie sie näher in Augenschein nahmen. Eines Abends wehte eine stärkere Brise als üblich (es gab keinen Wind in der Gegend, erklärten sie ihm), und da sie aus dem Westen kam, brachte sie einen unbestimmten Vegetationsgeruch mit sich, aus dem die Soldaten angeblich den Duft des Pillahuinco herausriechen konnten. Der Franzose blähte die Lungen in dem Versuch, sich mit den Ausdünstungen voll zu pumpen. Er atmete und atmete, methodisch, und zu seiner Rechtfertigung sagte er sich, wenn er das nicht täte, müsste er an Überdruss sterben.
    Der Frühling rückte allmählich näher. Gelegentlich zogen sie durch breite Teppiche aus winzigen roten und gelben Blumen, die von Bienen bedeckt waren, oder durch meilenweite Kamillenfelder, die beim Drauftreten ein betörendes Aroma verströmten; oder über kleine Veilchen, so groß an der Zahl, dass sie das ganze Feld blau einfärbten und man die Erde nicht mehr sehen konnte. Kein Kraut wuchs höher als zehn oder zwölf Zentimeter, mit Ausnahme vereinzelter Disteln, den lila Federbusch ganz überpudert mit Blütenstaub, der die trägen Stechfliegen einfärbte.
    Die Regenfälle, Herolde der warmen Jahreszeit, gingen ohne Unterlass nieder, Tag und Nacht; sie waren nie heftig, im Allgemeinen nicht mehr als ein zarter, in der Luft hängender Sprühregen ohne Dichte oder Richtung, und sie gewöhnten sich am Ende so sehr daran, dass sie ihn kaum noch wahrnahmen. Immer sehr hoch droben und immer vereinzelt zogen die Vögel vorüber, die aus dem Westen zurückkehrten, geräuschlos schlugen sie die Flügel in der feuchten Luft, wie Fische. Als

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