Die Mestizin
das ferne Kreischen irgendeines im Gestrüpp oder in der Weite des Himmels verborgenen Vogels, durch den schrillen Schrei eines einzelnen Bronzekiebitzes oder Chimangos die stille Unerschütterlichkeit der Landschaft nur umso deutlicher hervor.
Der Horizont blieb leer, Tag um Tag. Die Soldaten ritten weiter und erfüllten mit größter Gleichgültigkeit ihre Pflicht. Schon lange vor dieser Etappe hatte Duval es aufgegeben, Freundschaft mit ihnen zu knüpfen, sie waren ihm fremd erschienen; jetzt begann er zu begreifen, dass auch das notwendig war. Die Soldaten waren ehemalige Strafgefangene (wie jene, die sie jetzt an Ketten in den Karren mit sich führten), die aufgrund von wer weiß welchen Zugeständnissen an das Leben im Grenzland überlebt hatten und denen es gelungen war, sich an die Nutzlosigkeit des militärischen Lebens zu gewöhnen. Sie setzten sich bloß in Bewegung, um irgendwelche Raubtiere zu erjagen, um mit der Bola Nandus einzufangen oder zitternde Pampashasen aufzustöbern; und manchmal ließen sie sich dazu herab, sich weibliche Gefangene an ihre Seite zu holen, wenn Leutnant Lavalle dazu aufgelegt war, ihnen das zweifelhafte Vergnügen zu gönnen, sich für die Nacht eine auszusuchen, und sie losketten ließ, damit sie sich in der Dunkelheit mit ihnen vergnügen konnten.
Die Stille war allgegenwärtig, sie kam und ging… war weich wie die Luft und manchmal hart wie ein Stein. Duval atmete ein, so tief, wie er es nie zuvor getan hatte, mit einer Art unbestimmten Glaubens an die Realität des Lebens. In diesem Moment der Reise, als die Langeweile an ihrem Höhepunkt angelangt war, ertappte sich der Ingenieur plötzlich dabei, wie er seine Atemzüge zählte. Er hatte das Gefühl, er habe den allerprimitivsten Nutzen der Zahlen entdeckt, und dachte, wenn es ihm gelänge, die Berechnung dieser Bewegung der zarten Luft zum Abschluss zu bringen, dann würde es ihm gelingen, die Erde und die Stille zu zählen und die Angst der Pferde, und so fuhr er fort, wolkige Zahlen herzubeten, im Rhythmus von Brust und Kopf. In Wirklichkeit hatte er bei seiner Berechnung von Anfang an den Faden verloren, obgleich das nicht der Grund war, warum er nicht länger das Gefühl hatte, es handle sich um eine Berechnung im eigentlichen Sinne. Es war sein Roman. Er zog es vor, ihn weniger als die Akkumulation in der Zeit, sondern vielmehr als eine Berechnung der Einheit zu betrachten, eine präzise, langsame und reglose Teilung, die er in atmosphärischem Schweigen durchführte; die mathematischen Träumereien, die es ihm ermöglichten, die triviale Langeweile der Wüste zu ertragen, fanden ihren natürlichen Platz in den kleinen Schmetterlingen der Atmung, in dieser gedoppelten Konstanz von Ausatmen und Einatmen. Während er in der letzten Tagessonne vorneweg ritt, stellte er mit der Uhr in der Hand ein paar Berechnungen an. Er suchte, notgedrungen nur annäherungsweise, die Anzahl seiner Atemzüge seit Geburt zu bestimmen. Er stellte sich das überaus präzise Netz von Muskeln vor, fast wie bei einem Insekt, das immer wieder angetrieben wurde, die Luft anzusaugen und wieder auszustoßen. Es wäre nicht schwer, eine Maschine zu bauen, die endlos auf diese Weise arbeiten konnte, aber wozu sollte sie gut sein? Wenn man sie zum Beispiel auf einer dieser unendlich weiten Ebenen aufstellen würde, die sie durchquerten, wo sie für tausend Jahre in Vergessenheit geraten würde… Künstlerisch wertvoller, so sagte er sich, wäre es, einen Stellvertreter dieser Maschine zurückzulassen, einen Stein zum Beispiel (dazu könnte man alles Mögliche hernehmen), er stellte ihn sich länglich vor, von der Größe einer großen Ratte… Einen Augenblick lang konnte er ihn fast vor sich sehen, lebendig. Während er so herumphantasierte, war es ihm nicht bewusst, dass er weiteratmete, dann fiel es ihm wieder ein, und er lächelte.
Aber keine seiner Träumereien bereitete ihn auf das Ereignis vor, das wenige Tage darauf stattfand, ein Inerscheinungtreten der Stille, etwas beunruhigend vielleicht, doch wenigstens durchbrach es die Monotonie und bescherte ihm etwas Neues, über das er nachdenken konnte.
Eines Abends erblickten sie etwas in der Ferne, Richtung Süden, eine Bewegung, die einen Streifen des Landes wellte; es erhob sich kein Staub, aus dem einfachen Grund, dass es auf dem von Regen voll gesogenen Boden gar keinen gab. Alle wussten offenbar, worum es sich handelte, außer Duval, der seinem Pferd die Sporen gab, bis er sich auf
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