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Die Mestizin

Die Mestizin

Titel: Die Mestizin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: César Aira
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überraschend die Flügel ausbreiteten und davonflogen. Die beiden Frauen schrien vor Entsetzen auf.
    «Das sind Fledermäuse», sagte Evaristo Hugo.
    Ein Mann ritt die Küste entlang und führte eine Hundertschaft lebenslustiger Zicklein an.
    «Die Ziegen des Königs», sagte Evaristo Hugo. «Sie werden zum Überwintern auf die Berge getrieben.»
    Ein Vogel streifte ihren Kopf. Der Diener, der das Ruder führte, hob ein Palmenblatt und wedelte, um ihn auf Distanz zu halten.
    «Die erste Bachstelze», sagte Evaristo Hugo. «Wie lästig sie sind! Wann werden sie endlich ausgerottet?»
    Erna musste lachten, weil ihr Mann sich so hartnäckig an sein Unglück klammerte. Er durchlief eine Fatalismuskrise. Er sah sich bereits in den Fängen des Todes, nutzlos, am Boden zerstört. Der Tod verwirrte ihn. Er sagte, seine Intelligenz sei nur dazu da, um ihn zu verwirren. Allen, die es hören wollten, verkündete er, dass er von öffentlicher Verwaltung nichts verstehe, dass er seine Aufgaben blind erfülle. Ihm zufolge war es ein Wunder, dass er noch nie einen Fehler mit fatalen Folgen für das Gedeihen des Reiches begangen hatte. Sein Posten war von mittlerer Wichtigkeit: Er war Religionssekretär.
    «Was ist denn letztendlich die Politik?», sagte er. «Ihre Wissenschaft, das Laisser-faire. Ihre Technik, die Nase einer Königin.»
    Oder auch:
    «Und dennoch existiert die Politik. Es ist dieses Staubkorn, auf das sich der Felsen der Ewigkeit setzt.»
    Wenn ihn jemand nach seiner Beschäftigung fragte:
    «Meine Arbeit besteht darin, mich rot anzumalen und mich skeptisch zu geben.»
    Sein Motto: «Ich habe einen mächtigen Hammer, aber ich kann ihn nicht benutzen, weil der Griff vor Hitze rot glüht.»
    Als sie in der Stadt ankamen, türmten sich am Horizont riesige Wolken, die weiteren Schneefall ankündigten. In dieser Nacht und an den folgenden Tagen schneite es. Erna vertrieb sich drinnen die Zeit mit Landkarten, die ihr Evaristo unterwegs versprochen und gleich nach ihrer Ankunft geschenkt hatte. Jede Karte war aufgeschlagen so groß, dass sie fast den ganzen Boden des kleinen Salons bedeckte, in den sie sich zurückgezogen hatte, um sie zu studieren. Zusammengefaltet passten sie in eine Hosentasche. Sie waren aus dünnem, knittrigem Papier. Diese Landkarten führte Erna viele Jahre lang mit sich, auch dann noch, als sie die Indianerreiche längst verlassen hatte. Sie brachten sie zum Träumen. Gemalt waren sie mit Pflanzenfarben, die mit Holzstempeln aufgetragen wurden. Dargestellt war Catriels Reich als Mittelpunkt der Welt. Das Gebiet seiner Tributpflichtigen. Der Waldrand und sogar der leere Streifen, der Pringles von Azul trennte. Die westlichen Reiche hingegen waren nur skizziert. Keines war wie das andere, obwohl viele das gleiche Gebiet abdeckten. Hinreißende Miniaturen ersetzten die fehlenden Inschriften: die Hauptstadt mit ihren Palästen und Brücken, die Dörfer auf abgelegenen Lichtungen, sogar das Fort von Pringles und das Gehöft, wo Erna die Hütte erkennen konnte, in der sie gelebt hatte.
    Eine der Karten, ihre Lieblingskarte, war der Population und Verbreitung von Fasanen gewidmet. Sorgfältig gezeichnet, waren alle Rassen vertreten. Je größer der Fasan, desto größer die Zahl, die er repräsentierte.
    Wochen später überbrachte ihr ein Page mit weißen Streifen im Gesicht, die den Dienern der königlichen Familie vorbehalten waren, eine Botschaft. Lachend und endlos um den heißen Brei redend, teilte er ihr mit, dass eine von Catriels Konkubinen mit dem Wunsch schwanger gehe, sie zu sehen, und fragen lasse, ob sie die Güte besitze, sie am nächsten Morgen in ihren Gemächern aufzusuchen. Gleichgültig, wenn auch erstaunt, stimmte sie zu. Weder Catriel noch seine Frauen oder Kinder zeigten sich jemals dem gemeinen Volk. Selbst Evaristo Hugo, als er noch Beamter war, was bei den Ritualen einen gewissen Platz in der Hierarchie bedeutete, war nie in die Nähe des Kaziken gelangt und hatte ihn vielleicht ein- oder zweimal im Jahr bei festen Anlässen gesehen. Doch da erinnerte Erna sich an eine Geschichte, die sie einmal gehört hatte, über eine bezaubernde Gefangene namens F. C. Argentina, die vor langer, langer Zeit in den unwahrscheinlichsten Ort eingeführt worden war, den königlichen Harem. Bis jetzt hatte sie diese Geschichte für eine Legende gehalten, aber vielleicht stimmte sie ja. In dem Fall war diese F. C. wahrscheinlich neugierig darauf, die junge Frau des Ministers kennen zu lernen, da

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