Die Meute der Morrigan
reden, wie?»
«Komm, wir lassen ihn lieber in
Ruhe», sagte Pidge.
Obwohl er so unbeholfen wirkte,
hackte er mit raschen Schlägen weiter. Brigit sah sich immer wieder nach ihm
um, während sie Pidge zögernd folgte und sich am Saum seiner Jacke festhielt.
«Der kann aber nicht gut mit
der Axt umgehen», sagte sie höhnisch, als sie sich außer Hörweite wußte.
«Vielleicht hindert ihn der
dicke Mantel», meinte Pidge.
«Was braucht der so einen
Mantel. Es ist doch nicht kalt.»
«Manche Leute spüren die Kälte
mehr als andere. Das soll was mit dünnem Blut zu tun haben, glaube ich.»
«Dünnes Blut? Was ist denn das?
So was Dummes hab’ ich noch nie gehört. Gibt’s vielleicht auch dickes Blut?
Hast du schon mal was gehört von einem, der dickes Blut hat?»
«Nein.»
«Das ist der Beweis! Wenn es
dünnes Blut geben soll, dann muß es auch dickes Blut geben, sonst ist das alles
Unsinn. Jedenfalls ist er ein schlechtgelaunter, komischer Kauz, egal, was er
für Blut hat.»
Sie entdeckten, daß sie nun am
anderen Ende des Waldes angekommen waren, ungefähr gegenüber der Stelle, an der
sie ihn am Abend zuvor betreten hatten. Die Bäume endeten an einer Mauer, die
teilweise eingefallen war; eine Straße führte daran entlang. Die Landschaft auf
der anderen Seite der Straße lag verborgen hinter einer sehr hohen Hecke aus
Brombeeren und anderen Sträuchern.
Sie kletterten über
herabgefallene Steine auf die Straße hinunter.
Es fiel ihnen schwer, den Wald
zu verlassen; vielleicht würden sie ihn nie, nie mehr wiedersehen, und es war
so wunderbar dort gewesen.
Je mehr sich Pidge den Kopf
zerbrach, desto unsicherer war er sich über den Weg. Wieder fragte er sich, ob
sie mehr nach rechts oder nach links gehen sollten. Sollten sie sich vielleicht
überhaupt nicht nach der Straße richten, sondern durch die Hecke hindurch und
über die Felder gehen?
«Wohin gehen wir jetzt, Pidge?»
«Ich glaube, ich kann mich
nicht mehr so genau erinnern.»
«Weißt du den Weg noch?»
«Nein. Gestern abend wußte ich
ihn noch, aber jetzt bin ich nicht mehr sicher.»
«Warum gehen wir nicht dort
weiter?» schlug sie vor und deutete nach rechts. «Wir könnten es ja für eine
Weile versuchen.»
«Warum nicht Wenn wir
anderswohin kommen, wo wir nicht so eingeschlossen sind, wird mir vielleicht
eher klar, wohin wir gehen müssen.»
Wie sehr ich das hoffe, dachte
er ernst; denn was passiert, wenn wir nicht wissen, welche Richtung wir
einschlagen sollen, und einfach irgendwohin gehen, in der Hoffnung, daß es
stimmt? Dann lassen wir uns vielleicht nur noch ohne Ziel treiben und richten
gar nichts aus.
Sie waren noch keine zehn
Schritte gegangen, und Brigit wollte gerade etwas von frühstücken sagen, obwohl
sie eigentlich nicht hungrig war, da hörte das Geräusch im Wald auf; für eine
Weile blieb es still.
Dann heulte mitten im Wald ein
Hund: es war ein langgezogenes, unirdisches Heulen.
Da wußten sie, daß der
Holzfäller gar kein Holzfäller gewesen war und daß sein krummer Rücken nur
seine Größe hatte verbergen sollen, der dicke Mantel seine Magerkeit und der
alte Hut sein Gesicht.
Sie blieben abrupt stehen und
sahen einander an. Pidge war von Entsetzen überwältigt
«Das klingt gar nicht gut»,
brachte er nach einer Weile heraus.
Ein Angstschauer durchfuhr ihn,
und er stand entmutigt da und wußte nicht, was er tun sollte. Brigit
beobachtete sein Gesicht und wartete, daß ihm etwas einfallen würde.
Er stand da, starr vor Schreck
in dem furchtbaren Bewußtsein, daß einer der Hunde schon ihre Spur gefunden
hatte und nun die anderen herbeirief.
Ein leichter Wind kam auf und
schlug ihm sanft ins Gesicht; seine Hand fuhr in die Tasche und tastete nach
dem Lederbeutel. Seine Finger griffen nach einer Nuß, etwas anderem gehorchend
als seinem Verstand.
Er hielt sie auf der Handfläche
vor sich, und sie sahen zu, wie sie zersprang.
Etwas, das darin
zusammengerollt war, wickelte sich auf und flog in die Luft. Pidge hielt eine
straffe, feste Schnur in der Hand, und über ihm flog ein Drachen.
Es war der herrlichste Drachen,
den sie je gesehen hatten. Er war mit einem alten Schiff bemalt, und lange
Bänder aus violetter Seide wehten hinter ihm in der Luft; auf einem der Bänder
aber schimmerten in silberner Schrift die Worte:
Die Bänder waren lang, breit
und glänzend, und sie konnten nicht anders als dastehen und sie bewundern,
trotz der Gewißheit, daß Gefahr lauerte.
Die Schnur in Pidges
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