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Die Meute der Morrigan

Die Meute der Morrigan

Titel: Die Meute der Morrigan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pat O'Shea
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herantrat, um sie durch den langen Gang ins Innere zu
geleiten.

 
     
     
     
     
     
    ie
Dame trug ein langes, graues Kleid, das am Oberkörper und an den Armen eng
anlag, aber von der Taille an abwärts reich gefältelt war. Ihr Haar war streng
zurückgekämmt aus dem blassen, schmalen Gesicht und auf dem Kopf zu einem
Knoten gebunden, aus dessen fest gedrehten Strähnen sich kein einziges Haar
befreien konnte. Um die Taille lag ein langes verschnürtes Gürtelband, an dem
mit großen runden Ringen Schlüsselbunde befestigt waren, die klimperten, wenn
sie ging. Manche der Schlüssel waren sehr groß, andere kleiner. Ein besonders
schwerer Schlüssel baumelte ganz für sich allein. Pidge dachte, sie sei
vielleicht kostümiert.
    Noch bevor er irgendeine
Erklärung abgeben konnte, begann sie zu sprechen.
    «Ah, da sind sie ja endlich,
die Nachzügler», sagte sie. «Was ist denn passiert, daß ihr so spät kommt? Alle
anderen Teilnehmer der Wohltätigkeitswanderung haben euch überrundet und sind
schon eine Ewigkeit da. Wir hatten euch schon aufgegeben. Ihr hättet natürlich
gern ein Abendessen und möchtet euch am Feuer wärmen. Hier entlang. Ich gehe
voraus.»
    «Entschuldigen Sie bitte»,
beeilte sich Pidge zu sagen, «wir sind nicht die Nachzügler. Wir gehören zu
keiner Gruppe. Wir möchten uns nur unterstellen.»
    Aber sie schien nichts zu
hören.
    «Ihr seid die letzten, die wir
heute abend erwarten. Ihr habt es gerade noch geschafft. Jetzt können wir die
Türen verriegeln und verrammeln. Sonst bekommen wir es nämlich mit Einbrechern,
Gelegenheitsdieben und Herumtreibern zu tun oder gar mit diesen schrecklichen
Spaziergängern, die sich hier hereindrängeln und nicht die Höflichkeit haben, im
voraus zu buchen, wie es in diesem Haus Brauch ist. So geht es ja nun wirklich
nicht. Wie unkultiviert sie sich benehmen, diese gräßlichen Spaziergänger —
werfen ihre Bonbonpapiere auf den Boden und spähen durch die Vorhangritzen!»
    Pidge wiederholte sein Sprüchlein
mit lauterer Stimme. Aber das war völlig vergeblich.
    Die Dame legte eine besondere
Würde im Sprechen und in den Bewegungen an den Tag. Es war schön, ihr
zuzuhören, selbst als sie sagte:
    «Ihr werdet heute bestimmt
keine Besichtigung mehr machen wollen; aber ich möchte erwähnen, daß die Tür,
an der wir gerade vorübergehen, zu den Kerkergewölben führt. Dort unten sind
die glühenden Zangen, das Streckbett, die Schind eisen und anderes Zubehör, wie
es eben in eine altmodische Turnhalle gehört. Dorthin bringen wir die Leute,
die ihre Rechnung nicht bezahlen wollen. Sie spucken ihr Geld freiwillig aus,
wenn sie unsere Sammlung von Daumenschrauben und Zehenquetschern und
Nasenverdrehern und dergleichen sehen. Alle Fußwanderer, die wir erwischen,
kommen natürlich auch da hinunter. Das ist ein Spaß!» sagte sie ohne jede Spur
von Scherzhaftigkeit.
    Sie führte die beiden eine
breite Steintreppe aus vier hohen Stufen hinauf in die große Halle. Sie waren
noch nie in einem Schloß gewesen und sahen sich neugierig um. Nach der Tiefe
der Fensternischen schätzte Pidge, daß die Mauern fast sechs Fuß dick sein
mußten. Lässig an die steinernen Wände gelehnt, standen Rüstungen; in ihrem
aufpolierten Glanz sahen sie aus wie herausgeputzte Eckensteher. Hoch oben an
den Wänden waren Schilde, Streitäxte und Speere irgendwie befestigt. Noch
weiter droben standen waagerecht Stangen heraus, an denen Fahnen und Banner
steif herabhingen.
    Sie haben alles sehr gut
instand gehalten, dachte Pidge. Brigit war hingerissen von der Großartigkeit
der Halle.
    «Kommt weiter, trödelt nicht»,
sagte die Dame.
    Sie folgten ihr.
    Einige Leute saßen in Grüppchen
zu fünf oder sechs an schweren hölzernen Tischen beim Abendessen oder bei sonst
einer Mahlzeit, und jede Gruppe war ganz für sich. Familien oder
Freundesgruppen, dachte Pidge.
    «Ihr könnt hier Platz nehmen»,
sagte die Dame und setzte sie an einen kleinen Tisch, der für zwei Personen
gedeckt war.
    «Entschuldigen Sie bitte»,
sagte Pidge laut.
    «Fräulein!» rief Brigit
    Alle Anwesenden drehten die
Köpfe für einen Augenblick zu ihnen, wandten sich dann aber wieder ihren
eigenen Angelegenheiten zu.
    «Entschuldigen Sie bitte. Wir
wollen uns nur für eine Weile unterstellen. Wir sind nicht die Nachzügler, und
wir sind auch keine Spaziergänger — wir sind nur Wanderer, die sich verirrt
haben», sagte Pidge rasch.
    Aber schon bei den ersten
Worten hatte sie ihnen den Rücken gekehrt, ohne

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