Die Meute
Beschuldigungen. »Du warst es, Larry. Ich wollte es nicht. Du zwangst mich aus eigennützigen Gründen, meine Kinder mit in dieses – in dieses Haus hier zu nehmen. An uns dachtest du gar nicht. Das einzige, was dir wichtig war, war deine kostbare ...«
Ihre Stimme war immer schriller geworden, während Larry geduldig wartete, bis sie ihre Tirade beendet hatte. »Ich hasse dich!« kreischte sie. »Ich hasse dich!« Sie stürzte zu ihm und trommelte ihm mit den Fäusten gegen die Brust. Er ließ ihr Zeit, ihre Wut abzureagieren, doch als sie zu weinen begann, packte er ihre Handgelenke. Als er ihr hysterisches Weinen nicht mehr ertragen konnte, ließ er ihr linkes Handgelenk los und schlug ihr mit der offenen rechten Hand ins Gesicht.
Die Wände warfen das Echo des Schlags zurück. Er ließ sie los. Sie starrte ihn an, sagte nichts, drehte sich auf dem Absatz um und stürmte hinaus, gefolgt von dem entsetzten Josh.
Larry schlug das Herz bis zum Hals. Erschöpft schlich er zum Wasserhahn und wusch seine verletzte Hand, so gut es ging. Dann verband er sie mit einem Handtuch und setzte sich an den Tisch.
Die letzten fünfundvierzig Minuten waren wie eine Ewigkeit gewesen. Es konnte nicht später als neun Uhr sein, doch schien ihm, als seien Tage vergangen, seit er im Hof den Hund erschossen hatte. Und er hatte immer nur Zeit gehabt zu reagieren, ohne zu denken. Auch jetzt nahm sein Gehirn nur die einfachen Fakten wahr.
Die Hunde hatten getötet. Irgend etwas hatte diese harmlosen Tiere – harmlos? Das Wort war zum Lachen. Irgend etwas hatte sie zu Bestien gemacht. Cornwall war tot. Sein Vater war tot.
Thomas Hardman, der unverwüstliche alte Thomas Hardman, war tot? Dieser liebe, freundliche Mann? Er konnte es nicht begreifen. Larry durchforschte sein Gedächtnis. Hätte er ihn retten können? Gab es irgendeine Möglichkeit, ihm zu helfen? Er war weggelaufen. Wieso war er weggelaufen? Es mußte Panik gewesen sein. Aber hatte er da gewußt, daß sein Vater tot war? Hatte er es wirklich gewußt? Ja, sagte er sich, ja, ja, ja. Er war tot gewesen, der alte Mann.
Und dennoch, er konnte nicht sicher sein. Wieder sah er sich laufen, spürte die kalte, beißende Luft in den Lungen. Sein Vater war stehen geblieben. Lauf! Der alte Mann fühlte sich schuldig an Charlies Tod und hatte deswegen sterben wollen. Hätte er ihn retten können? Hatte er einfach die Nerven verloren? War der alte Mann überhaupt tot gewesen? Er würde es niemals wissen.
»Es ist vorbei«, sagte er laut. Jetzt mußte er seine Familie, seine Mutter und Corny möglichst schnell von dieser Insel wegbringen. In Gedanken war er noch immer auf der Flucht, brachte sich mit langen Sätzen in Sicherheit. Dieses Bild würde ihn ewig verfolgen. Weg von der Insel, das war jetzt das Wichtigste. Er würde ein Privatboot kommen lassen ... Aber er war davongelaufen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Der alte Mann stand da. Er stand einfach da. Thomas Hardman war tot gewesen, als er sich rettete ... Zurück in die Stadt. Dort konnte er irgendeine Vereinbarung mit Diane treffen. Wie früher konnten sie nicht mehr leben, das wußte er, aber sie waren intelligente, vernünftige Leute und mußten an ihre Kinder denken. Vielleicht hätte er sie nicht schlagen sollen. Vielleicht hätte er nicht fliehen dürfen.
Verzweifelt rang er die Hände. Das Handtuch fiel zu Boden, und er bemerkte, daß an seiner Hand immer noch Blutflecken waren. Das Blut seines Vaters? Das Blut eines Hundes? Sein eigenes? Im Grunde hatte es nichts zu bedeuten. Von Bedeutung war nur der Tod seines Vaters – und daß sie sofort die Insel verlassen mußten. Er war so in seine Gedanken vertieft, daß es minutenlang dauerte, bis er das Kläffen der Meute hörte.
Er erstarrte. Sie kamen zurück. Langsam ging er zu dem zerbrochenen Fenster. Ein Luftzug fuhr kalt über sein nasses Haar. Und draußen – draußen saß in einem Halbkreis die Meute im Schnee. Die mörderischen Bestien waren zurückgekehrt.
Der graue Schäferhund hob den Kopf und stieß ein triumphierendes Heulen aus. Seine Meute hatte gefressen. Sie hatte getötet, um fressen zu können, und jetzt würde sie überleben.
Ungläubig starrte Larry hinaus. Dort draußen saß eine Rotte von Hunden, das sagten ihm seine Augen. Aber das waren gar keine Hunde. Hunde waren gelehrige Haustiere, die kamen, wenn man sie rief.
Auch er hatte als Junge Hunde gehabt. Einer – er hatte Pluto geheißen – war Larry in den See nachgesprungen, als
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