Die Mglichkeit einer Insel
vorlegte, damit ich es signierte. Es dauerte etwa sechs Monate, ehe sie es wagte, mich anzusprechen — nein, ich glaube, ich habe schließlich selbst die Initiative ergriffen. Sie war eine gebildete Frau, unterrichtete Philosophie an einer Pariser Universität, und ich habe ihr wirklich keinerlei Mißtrauen entgegengebracht. Sie bat mich um die Erlaubnis, den Text meiner Sketche mit einem Kommentar im Cahier d'etudes pheno menologiques veröffentlichen zu dürfen; ich ging natürlich darauf ein. Ich fühlte mich ein wenig geschmeichelt, das gebe ich zu, schließlich hatte ich bloß das Abitur, nicht mal studiert, und sie verglich mich mit Kierkegaard. Ein paar Monate lang haben wir per Internet korrespondiert, doch nach und nach artete die Sache aus, ich nahm eine Einladung zum Abendessen bei ihr an, ich hätte mich gleich in acht nehmen sollen, als ich ihr Hauskleid sah, ich habe es immerhin geschafft, fortzugehen, ohne sie allzusehr zu demütigen, zumindest hatte ich das gehofft, aber schon am nächsten Tag erhielt ich die ersten pornographischen E-Mails. »Ach, wenn ich dich endlich in mir spüre, wenn ich spüre, wie dein Stengel aus Fleisch meine Blume öffnet…«, es war schrecklich, sie schrieb wie Gerard de Villiers. Sie war nicht sehr attraktiv, sah älter aus, als sie war, denn in Wirklichkeit war sie erst siebenundvierzig, als ich sie kennenlernte — hatte also genau das gleiche Alter wie ich zu dem Zeitpunkt, da ich Esther kennenlernte. Ich sprang aus dem Bett, als mir das bewußt wurde, hechelte vor Beklemmung und ging im Schlafzimmer auf und ab — Esther schlief friedlich und hatte die Bettdecke zur Seite geschoben, mein Gott, wie hübsch sie doch war.
Ich hatte mir damals vorgestellt — fünfzehn Jahre später dachte ich noch voller Scham und Ekel daran zurück — ich hatte mir vorgestellt, daß das sexuelle Begehren ab einem gewissen Alter verschwand oder daß es einen zumindest einigermaßen in Ruhe ließ. Wie hatte ich nur trotz meiner, wie ich glaubte, so bissigen und scharfzüngigen Art einer so lächerlichen Illusion auf den Leim gehen können? Im Prinzip kannte ich das Leben und hatte sogar diverse Bücher gelesen; und wenn es ein Thema gab, ein einfaches Thema, über das alle Zeugenaussagen übereinstimmen, wie man sagt, dann dieses. Das sexuelle Begehren verschwindet nicht mit zunehmendem Alter, im Gegenteil, es wird immer grausamer, unerbittlicher, unersättlicher, und selbst bei Männern, bei denen die Hormonsekretion, die Erektion und alle damit verbundenen Phänomene aufhören — was im übrigen ziemlich selten vorkommt —, wird die Anziehungskraft, die junge weibliche Körper auf sie ausüben, nicht geringer, sondern wird, und das ist vielleicht noch schlimmer, zur cosa mentale und zum Begehren des Begehrens. Das ist die Wahrheit, die nicht zu leugnende Wahrheit, die alle ernstzunehmenden Autoren unermüdlich wiederholt haben.
Ich hätte Bratarsch zur Not mit einem Cunnilingus bedienen können — ich stellte mir vor, wie sich mein Gesicht zwischen ihre schlaffen Schenkel, ihre bleichen Fettwülste vorwagte und ich versuchte, ihren herabhängenden Kitzler wiederzubeleben. Aber ich war mir sicher, selbst das hätte nicht genügt — und vielleicht sogar ihr Leid verstärkt. Sie wollte wie so viele andere Frauen penetriert werden, unter dem würde sie sich nicht zufriedengeben, darüber ließ sie nicht mit sich reden.
Ich ergriff die Flucht; wie alle Männer in einer ähnlichen Situation ergriff ich die Flucht, antwortete nicht mehr auf ihre E-Mails, verbot ihr den Zugang zu meiner Garderobe. Doch sie ließ nicht locker, fünf, vielleicht sieben Jahre, auf jeden Fall eine endlos lange Zeit ließ sie nicht locker; ich glaube, sie verfolgte mich bis zu dem Tag, an dem ich Isabelle kennenlernte. Ich hatte ihr natürlich nichts gesagt, ich hatte keinerlei Kontakt mehr zu ihr, aber vielleicht gibt es ja so etwas wie Intuition, weibliche Intuition, wie man sagt, auf jeden Fall verschwand sie genau in jenem Augenblick, verließ mein Leben und vielleicht das Leben überhaupt, wie sie mir mehrfach angedroht hatte.
Am Tag nach dieser unerquicklichen Nacht nahm ich das erste Flugzeug nach Paris. Esther war leicht überrascht, sie dachte, ich würde die ganze Woche in Madrid verbringen, und mir ging es ähnlich, denn das hatte ich eigentlich vorgehabt, ich begriff auch nicht so recht, warum ich so plötzlich abreiste, vielleicht wollte ich mich wichtig machen, ihr zeigen, daß auch ich ein
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