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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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bemühte, eines der wichtigsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte zu schildern; wenn sie es gewußt hätten, sagte ich mir jetzt, hätte sie das nicht einmal sonderlich beeindruckt. Sie alle waren ein trübseliges Leben gewohnt, in dem sich so gut wie nichts änderte, waren es gewohnt, kaum noch Interesse für das reale Dasein zu zeigen, es höchstens noch zu kommentieren. Das konnte ich verstehen, auch mir war es ähnlich gegangen — und es ging mir weitgehend, wenn nicht gar in stärkerem Maße als ihnen, noch immer so. Nicht ein einziges Mal hatte ich, seit die Aktion MACHT DEN LEUTEN EINE FREUDE — GEBT IHNEN SEX gestartet worden war, daran gedacht, selbst die sexuellen Dienste der Bräute des Propheten in Anspruch zu nehmen; und ich hatte auch keine Anhängerin gebeten, mir die Gunst einer Fellatio oder einer simplen Masturbation zu gewähren, was sie sicherlich getan hätte; ich hatte noch immer Esther im Kopf, unter der Haut, überall. Ich erzählte Vincent das eines Tages, an einem schönen, schon leicht winterlichen Vormittag, während ich durch das Fenster in seinem Büro die Bäume in dem städtischen Park beobachtete: Mich könnte nur eine Aktion im Stil DEINE FRAU ERWARTET DICH retten, doch die Dinge entwickelten sich in eine andere Richtung, eine völlig andere Richtung. Er blickte mich traurig an, ich tat ihm leid, er konnte mich sicher gut verstehen, denn er erinnerte sich bestimmt noch an die gar nicht lange zurückliegende Zeit, in der seine Liebe zu Susan hoffnungslos zu sein schien. Ich wedelte schwach mit der Hand, summte »La-la-la …« und zog dabei eine Grimasse, die aber nicht wirklich witzig wirkte. Dann ging ich wie Zarathustra, der seinen Untergang begann, in Richtung Kantine.
    Wie dem auch sei, ich nahm an der Zusammenkunft teil, bei der der Professor uns ankündigte, daß Vincents Zeichnungen keine einfache künstlerische Sichtweise seien, sondern daß sie eine Vorstellung vom Menschen der Zukunft gäben. Schon seit langem erschiene ihm die tierisch-menschliche Ernährung als primitives System, dessen energetische Rentabilität bescheiden war und das darüber hinaus viel zu viele Abfälle produzierte, die nicht nur ausgeschieden werden müßten, sondern in der Zwischenzeit auch den Organismus erheblich strapazierten. Schon seit langem denke er daran, den neuen Menschen mit dem System der Photosynthese auszustatten, das aufgrund einer Absonderlichkeit der Evolution der Pflanzenwelt vorbehalten war. Die direkte Verwendung der Sonnenenergie sei ein System, das eindeutig robuster, leistungsstärker und zuverlässiger sei — wie die praktisch unbegrenzte Lebensdauer, die manche Pflanzenarten erreichen konnten, bezeugte. Außerdem sei der Vorgang, der menschlichen Zelle autotrophe Fähigkeiten hinzuzufügen, längst nicht so schwierig, wie man sich vorgestellt hatte; seine Teams arbeiteten schon seit gewisser Zeit daran, und die Anzahl der betroffenen Gene sei erstaunlich gering. Ein solchermaßen umgewandeltes menschliches Wesen »ernähre« sich außer von der Sonnenenergie von Wasser und einer kleinen Menge Mineralsalze; der Verdauungsapparat sowie die Ausscheidungsorgane konnten verschwinden — der Überschuß an Mineralsalzen könne auf dem Umweg über den Schweiß mit dem Wasser abgesondert werden.
    Vincent, der es gewohnt war, den Ausführungen des Professors nur aus der Ferne zu folgen, nickte mechanisch, und Flic dachte an etwas anderes: Und so wurde innerhalb weniger Minuten und auf der Grundlage einer schnell dahingekritzelten Zeichnung eines Künstlers die Genetische Standard-Korrektur beschlossen, die generell bei allen eines Tages wieder ins Leben zu rufenden DNA-Einheiten vorgenommen werden sollte und die einen endgültigen Bruch zwischen den Neo-Menschen und ihren Vorfahren darstellen würde. Am Rest des genetischen Codes sollte sich nichts ändern; aber trotzdem hatte man es mit einer neuen Spezies zu tun und strenggenommen mit einem neuen Zeitalter.
     
     

Daniel25.11
    Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß die GSK, die ursprünglich nur aus rein ästhetischen Gründen entwickelt worden war, letztlich den Neo-Menschen erlaubte, die später erfolgten klimatischen Katastrophen, die damals niemand voraussehen konnte, ohne große Schwierigkeiten zu überleben, während die Menschen der früheren Rasse fast vollständig ausgerottet wurden.
    Der Lebensbericht von Daniel1 wird in diesem wesentlichen Punkt wieder einmal von Vincent 1, Slotan1 und Jerôme1

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