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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Fox machte und die überhaupt nicht mehr angenehm waren: Er jaulte und preßte sich an mich, so sehr ängstigte ihn der Lärm der Lastwagen. Ich erfuhr vom Zeitungshändler, daß Hildegard gestorben war und Harry sein Haus verkauft hatte, um sein Lebensende in Deutschland zu verbringen. Nach und nach verzichtete ich sogar darauf, mein Schlafzimmer zu verlassen, und verbrachte den größten Teil meiner Tage im Bett in einem Zustand geistiger Leere, der dennoch schmerzhaft war. Manchmal dachte ich daran zurück, wie Isabelle und ich hier vor einigen Jahren angekommen waren; ich weiß noch, wieviel Freude es ihr gemacht hatte, das Haus einzurichten und vor allem zu versuchen, Blumen anzupflanzen und einen Garten anzulegen. Wir hatten immerhin ein paar kurze Augenblicke des Glücks erlebt. Ich dachte auch an die Nacht zurück, in der wir uns nach unserem Besuch bei Harry zum letzten Mal in den Dünen geliebt hatten; aber es gab keine Dünen mehr, die Planierraupen hatten alles eingeebnet, jetzt war es ein schlammiges, von Bretterzäunen umgebenes Gelände. Auch ich würde mein Haus verkaufen, ich hatte keinen Grund mehr hierzubleiben: Ich kontaktierte einen Immobilienhändler, der mir erklärte, daß die Grundstückspreise inzwischen sehr gestiegen waren, ich könne mit einem beträchtlichen Wertzuwachs rechnen. Ich wusste nicht genau, in welchem Zustand ich sterben würde, aber auf jeden Fall würde ich reich sterben. Ich bat ihn zu versuchen, das Haus so schnell wie möglich zu verkaufen, auch wenn die Angebote nicht so hoch waren, wie er hoffte; mir wurde diese Gegend mit jedem Tag unerträglicher. Ich hatte den Eindruck, daß die Arbeiter nicht nur keine Sympathie für mich empfanden, sondern daß sie mir eindeutig feindlich gesinnt waren und absichtlich ganz nah mit ihren riesigen Lastwagen an mir vorbeifuhren, mich mit Schlamm bespritzten und Fox in Furcht und Schrecken versetzten. Dieser Eindruck war vermutlich richtig: Ich war Ausländer, stammte aus dem Norden, und außerdem wußten sie, daß ich reicher war als sie, viel reicher; sie empfanden mir gegenüber einen dumpfen, animalischen Haß, der dadurch, daß er ohnmächtig war, noch verstärkt wurde, denn das Gesellschaftssystem war da, um Menschen wie mich zu schützen, und das Gesellschaftssystem war stark, die Guardia Civil war sehr präsent und führte immer öfter Streifen durch, Spanien hatte gerade eine sozialistische Regierung bekommen, die für Korruption nicht so anfällig war wie andere, weniger Kontakte zu lokalen Niederlassungen der Mafia hatte und fest entschlossen war, die Schicht der gebildeten, wohlhabenden Leute zu schützen, die den Großteil ihrer Wählerschaft bildeten. Ich hatte noch nie Sympathie für die Armen gehabt, und jetzt, da mein Leben hinüber war, hatte ich noch weniger als je zuvor. Die Überlegenheit, die mir mein Geld gab, hätte mich sogar fast etwas trösten können: Ich hätte ihnen arrogante Blicke zuwerfen können, während sie mit gekrümmtem Rücken Schuttberge fortschaufelten oder Bohlen und Backsteine von den Lastwagen abluden; ich hätte ihre furchigen Hände, ihre Muskeln, die mit nackten Frauen bebilderten Kalender, mit denen sie ihre Baufahrzeuge ausschmückten, ironisch abtun können. Doch diese winzigen Momente der Genugtuung konnten mich, wie ich genau wußte, nicht daran hindern, sie um ihre natürliche, ungezügelte Männlichkeit zu beneiden, um ihre proletarische animalische Jugend, die mir mit brutaler Deutlichkeit ins Auge sprang.
     
     

Daniel25,12
    Heute morgen erhielt ich kurz vor dem Morgengrauen von Marie23 folgende Nachricht:
    Die drückenden Membranen
    Unseres Halb-Erwachens
    Besitzen den gedämpften Charme
    Von Tagen ohne Sonne.
    3109, 749, 83106, 3545. Auf dem Bildschirm wurde das Bild eines riesigen Wohnzimmers mit weißen Wänden sichtbar, das mit niedrigen weißen Ledersofas eingerichtet war; auch der Teppichboden war weiß. Hinter den großen Fenstern konnte man die Türme des Chrysler Building erkennen — ich hatte schon einmal die Gelegenheit gehabt, sie auf einer alten Reproduktion zu sehen. Nach ein paar Sekunden kam eine junge Frau der Neo-Menschenrasse ins Bild, die höchstens fünfundzwanzig war, und stellte sich vor die Kamera. Sie hatte dunkle Locken und dichtes schwarzes Schamhaar, ihr harmonischer Körper mit breiten Hüften und runden Brüsten vermittelte einen soliden, energischen Eindruck; sie sah im großen und ganzen etwa so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Eine

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