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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Schild angebracht, auf dem in kursiver Schreibschrift der Name und Vorname des Toten stand. In der Mitte des Raums befand sich ein runder Marmortisch, der von Stühlen aus Glas oder eher aus durchsichtigem Plastik umgeben war. Nachdem der Friedhofswärter mich hereingelassen hatte, stellte er den Behälter mit Isabelles Asche auf den Tisch, dann ließ er mich allein. Während ich in dem Raum war, konnte niemand anders hereinkommen; meine Anwesenheit wurde durch eine kleine rote Lampe angezeigt, die draußen aufleuchtete wie in einem Filmstudio, wenn gerade gedreht wird. Ich blieb gut zehn Minuten im Saal der Stille, so wie die meisten Leute.
    Ich verbrachte einen seltsamen Sylvesterabend allein in meinem Zimmer der Villa Eugenie und wälzte einfache Endzeitgedanken, die praktisch keine Widersprüche enthielten. Am 2. Januar holte ich morgens Fox ab. Ehe ich abreisen konnte, mußte ich leider noch in Isabelles Wohnung zurückkehren, um die Papiere zu holen, die für die Erbschaftsfragen erforderlich waren. Sobald wir in die Einfahrt der Wohnanlage kamen, bemerkte ich, daß Fox vor freudiger Ungeduld zitterte; er war noch etwas dicker geworden, die Corgis sind eine Rasse, die zu Leibesfülle neigt, dennoch rannte er bis zur Tür von Isabelles Wohnung und machte dann außer Atem halt, um auf mich zu warten, denn ich ging die von winterlich kahlen Kastanien gesäumte Allee sehr viel langsamer entlang. In dem Augenblick, als ich nach den Schlüsseln suchte, kläffte er vor Ungeduld; der arme Kerl, sagte ich mir, der arme kleine Kerl. Sobald ich die Tür geöffnet hatte, stürzte er in die Wohnung, machte einmal schnell die Runde, kam dann zurück und warf mir einen fragenden Blick zu. Während ich Isabelles Sekretär durchsuchte, rannte er mehrmals wieder los, erforschte schnuppernd ein Zimmer nach dem anderen, kam dann wieder zu mir zurück, blieb vor Isabelles Schlafzimmertür stehen und blickte mich mit enttäuschter Miene an. Jedes Lebensende hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Aufräumen; man hat keine Lust mehr, ein neues Projekt zu beginnen, man begnügt sich damit, die täglichen Dinge zu erledigen. Alles, was man nie getan hat, und sei es noch so etwas Unbedeutendes wie etwa eine Mayonnaise zuzubereiten oder eine Partie Schach zu spielen, wird nach und nach aufgegeben, der Wunsch, eine neue Erfahrung zu machen oder ein neues Gefühl zu entdecken, verschwindet völlig. Aber wie dem auch sei, sie hatte alles sehr gut aufgeräumt, und es dauerte nur ein paar Minuten, bis ich Isabelles Testament und die Besitzurkunde für die Wohnung fand. Ich hatte nicht die Absicht, sofort den Notar aufzusuchen, ich sagte mir, daß ich zu einem späteren Zeitpunkt nach Biarritz zurückkommen würde, wußte aber genau, daß es eine unangenehme Aufgabe war und ich vermutlich nie den Mut aufbringen würde, sie zu erledigen, aber das war unwichtig, nichts war jetzt mehr wirklich wichtig. Als ich den Umschlag öffnete, stellte ich fest, daß dieser Schritt nicht mehr nötig war: Sie hatte alles, was sie besaß, der elohimitischen Kirche vermacht, ich erkannte das Vertragsformular wieder; die zuständigen Stellen würden sich darum kümmern.
    Als ich die Wohnung verließ, folgte mir Fox ohne Schwierigkeiten, er glaubte wahrscheinlich, wir würden nur einen kleinen Spaziergang machen. In einer Tierhandlung in der Nähe des Bahnhofs kaufte ich einen Plastikbehälter, um Fox während der Reise zu transportieren; dann reservierte ich eine Fahrkarte für den Schnellzug nach Irún.
    In der Gegend von Almeria herrschte mildes Wetter, ein Vorhang aus feinem Regen begrub die kurzen Tage unter sich, die den Eindruck vermittelten, als begännen sie nie richtig, und dieser düstere Friede hätte mir durchaus zusagen können, mein alter Hund und ich hätten ganze Wochen damit verbringen können, uns Träumereien zu überlassen, die nicht mal mehr richtige Träumereien waren, doch leider erlaubten es die Umstände nicht. In einem Umkreis von mehreren Kilometern rings um mein Haus waren Bauarbeiten begonnen worden, um neue Villen zu errichten. Es wimmelte von Baukränen und Mischmaschinen, und um ans Meer zu gelangen, mußten wir uns zwischen Sandhaufen sowie Stapeln von Stahlträgern hindurchschlängeln und ständig Planierraupen und Baufahrzeugen ausweichen, die ohne zu verlangsamen durch aufspritzende Schlammpfützen auf uns zurasten. Nach und nach gewöhnte ich es mir ab, nach draußen zu gehen, bis auf die zwei kurzen Spaziergänge, die ich mit

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