Die Mglichkeit einer Insel
unvereinbar mit einem normativen Katalog eng begrenzter Verhaltensweisen, vertrug sich jedoch durchaus mit einer ständigen Verherrlichung des Willens und des Ichs. Grausamkeit, zynischer Egoismus oder Gewalt in jeder Form waren daher äußerst willkommen — Themen wie Vatermord oder Kannibalismus hatten einen zusätzlichen Reiz. Die Tatsache, daß ein Komiker, der sich in diesem Genre einen Namen gemacht hatte, sich darüber hinaus mit großer Ungezwungenheit auf das Gebiet der Grausamkeit und des Bösen vorwagte, löste zwangsläufig in der Branche einen Schock aus. Mein Agent nahm diesen Ansturm, anders läßt es sich kaum nennen — in knapp zwei Monaten erhielt ich vierzig verschiedene Drehbuchangebote —, zurückhaltend auf. Ich könne sicherlich viel Geld damit verdienen, meinte er, und er bei dieser Gelegenheit natürlich auch; aber meine Berühmtheit würde darunter leiden. Ein Drehbuchautor ist zwar ein wesentlicher Faktor bei der Herstellung eines Films, doch er bleibt der Öffentlichkeit völlig unbekannt; und Drehbücher zu schreiben erfordere immerhin ziemlich viel Arbeit und sei daher für meine Karriere als Showman nicht zu empfehlen.
Im ersten Punkt hatte er recht — obwohl ich bei gut dreißig Filmen als Drehbuchautor, Koautor oder Berater mitgewirkt hatte, steigerte das meine Berühmtheit absolut nicht —, den zweiten dagegen hatte er völlig überschätzt. Filmemacher zeichnen sich nicht gerade durch überdurchschnittliche Intelligenz aus, wie ich sehr bald festgestellt hatte: Man braucht ihnen nur eine originelle Idee, eine Situation oder das Bruchstück einer Geschichte vorzuschlagen, alles Dinge, auf die sie selbst nie gekommen wären; man fügt ein paar Dialoge hinzu, drei oder vier idiotische Einfälle — ich war imstande, etwa vierzig Drehbuchseiten pro Tag zu schreiben —, legt ihnen das Skript vor, und schon sind sie hellauf begeistert. Anschließend ändern sie alle paar Tage ihre Meinung in allem — in bezug auf sich selbst, die Produktion, die Schauspieler oder wen und was auch immer. Man braucht nur bei den Arbeitsbesprechungen zu erscheinen, ihnen zu sagen, daß sie völlig recht haben, das Drehbuch ihren Anweisungen entsprechend umzuschreiben, und schon ist die Sache gelaufen; ich hatte noch nie so leicht Geld verdient.
Mein größter Erfolg als Drehbuchautor war ohne Zweifel Diogenes, der Kyniker; es handelte sich nicht, wie der Titel vermuten lassen könnte, um einen Kostümfilm. Die Kyniker — dieser Teil ihrer Lehre ist ziemlich in Vergessenheit geraten — forderten die Kinder auf, ihre eigenen Eltern zu töten und zu verschlingen, sobald diese arbeitsunfähig und somit zu unnützen Essern wurden; angesichts der Vergreisung unserer Gesellschaft ließ sich eine Übertragung dieser Thematik auf heutige Verhältnisse also leicht vorstellen. Ich hatte einen Augenblick daran gedacht, Michel Onfray die Hauptrolle anzubieten, der natürlich gleich davon begeistert war; aber der unbedarfte Vielschreiber, der in Talkshows oder vor mehr oder weniger dümmlichen Studenten so gewandt war, gab vor der Kamera eine klägliche Figur ab, es war einfach nichts aus ihm herauszuholen. Der Produzent traf daher die weise Entscheidung, auf ein alterprobtes Rezept zurückzugreifen, und Jean-Pierre Marielle war wie immer sehr überzeugend.
Etwa um die gleiche Zeit kaufte ich mir ein Ferienhaus in Andalusien in einer damals noch weitgehend unberührten Gegend nördlich von Almeria, im Naturpark namens Cabo de Gata. Der Architekt hatte wunderschöne Pläne entworfen: Palmen, Orangenbäume, Whirlpools und Wasserfälle — was angesichts der klimatischen Bedingungen (es handelt sich um die regenärmste Region Europas) etwas wahnwitzig erscheinen mag. Diese Gegend war, was ich vorher überhaupt nicht wußte, an der ganzen spanischen Küste die einzige, die bis dahin vom Tourismus verschont geblieben war; fünf Jahre später hatten sich die Grundstückspreise verdreifacht. Kurz gesagt, in jenen Jahren war ich ein bißchen wie König Midas.
Zu jener Zeit beschloß ich, Isabelle zu heiraten; wir kannten uns seit drei Jahren, die Dauer unserer vorehelichen Bekanntschaft entsprach somit genau dem Durchschnitt. Die Feier fand in sehr diskretem Rahmen statt und war etwas trübselig; Isabelle war gerade vierzig geworden. Heute bin ich davon überzeugt, daß ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen besteht und daß ich durch diesen Liebesbeweis den Schock über das Erreichen der Vierzig zu
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