Die Mglichkeit einer Insel
Konkurrenzverhalten fördere, was ihr mit jedem Tag schwerer falle. »Das Leben ist entwürdigend«, hatte Henri de Regnier gesagt; das Leben geht vor allem dem Verfall entgegen — manchen Leuten gelingt es wohl, sich nicht entwürdigen zu lassen, den Kern ihres Wesens zu bewahren; doch welches Gewicht hat schon ein solcher Rest angesichts des körperlichen Verfalls?
»Ich muß wohl meine Abfindung aushandeln …«, sagte sie. »Aber ich habe keine Ahnung, wie ich das machen soll, vor allem da die Zeitschrift immer besser läuft; ich weiß nicht, was ich als Vorwand angeben soll, um meine Kündigung zu rechtfertigen.«
»Am besten läßt du dir einen Termin mit Lajoinie geben und erklärst ihm die Sache. Du sagst ihm das einfach so, wie du's mir gesagt hast. Er ist schon reichlich alt, ich nehme an, er kann das verstehen. Natürlich ist er jemand, der Geld und Macht liebt, das sind Leidenschaften, die nur langsam vergehen; aber nach allem, was du mir von ihm erzählt hast, kann ich mir vorstellen, daß er für Abnutzungserscheinungen Verständnis hat.«
Sie tat, was ich ihr vorgeschlagen hatte, und ihre Bedingungen wurden ohne Einschränkung akzeptiert; man muß allerdings dazusagen, daß die Zeitschrift ihr praktisch alles verdankte. Was mich betraf, so konnte ich meine Karriere noch nicht abbrechen — jetzt noch nicht. Meine letzte Show mit dem seltsamen Titel Los Struppi! Auf nach Aden! hatte den Untertitel Haß in Reinkultur! — diese Aufschrift, die von der Graphik her an Eminem erinnerte, lief quer über das Plakat; und die Sache war wirklich nicht übertrieben. Gleich zu Beginn kam ich auf den Nahostkonflikt zu sprechen — ein Thema, mit dem ich in den Medien schon ein paar schöne Erfolge erzielt hatte —, und zwar so, wie ein Journalist in Le Monde schrieb, »daß dabei die Fetzen flogen«. Im ersten Sketch mit dem Titel Der Kampf der Zwerge stellte ich Araber — die ich in »Geschmeiß Allahs« umgetauft hatte —, Juden — die als »beschnittene Wanzen« bezeichnet wurden — und sogar libanesische Christen, die den ulkigen Spitznamen »Marias Filzläuse« trugen, einander gegenüber. Kurz gesagt, die Religionen der Heiligen Schrift wurden, wie ein Kritiker in Le Point schrieb, »ohne Unterschied in die Pfanne gehauen« — zumindest in diesem Sketch; dann ging die Show mit einem irrsinnig witzigen Schwank mit dem Titel Die Palästinenser sind lächerlich weiter, in dem ich eine Reihe geiler, burlesker Anspielungen auf die Dynamitstäbe machte, die sich die Aktivistinnen der Hamas um die Hüften schnallten, um Juden zu zerfetzen. Anschließend ging ich zum Angriff auf alle Formen von Auflehnung, nationalistischem oder revolutionärem Kampf über, in Wirklichkeit also zu einem Angriff auf politisches Handeln als solches. Ich verwandte natürlich besondere Sorgfalt darauf, während der ganzen Show mein Image als rechter Anarchist zu verstärken — nach dem Motto »ein kampfunfähig gemachter Kämpfer bedeutet einen Arsch weniger, der nicht mehr die Gelegenheit hat zu kämpfen«, ein Motto, das von Celine bis Audiard die Highlights der französischsprachigen Komik charakterisiert hatte; aber darüber hinaus griff ich den Satz von Paulus wieder auf, dem zufolge alle Autorität von Gott kommt, und schwang mich manchmal zu den Höhen einer düsteren Meditation auf, die an die christliche Apologetik erinnerte. Ich warf dabei natürlich alle theologischen Inhalte über Bord und entwickelte statt dessen eine strukturelle Argumentation von fast mathematischer Stringenz, eine Argumentation, die insbesondere auf dem Konzept der Ordnung basierte. Kurz gesagt, diese Show war ein Stück klassischer Bühnenkunst und wurde auch auf Anhieb als solches gefeiert; es war ohne Zweifel mein größter Erfolg, was die Kritiken anging. Noch nie hatte mein Talent als Komiker nach allgemeiner Ansicht solche Höhen erreicht — oder sei noch nie so tief gesunken, das war eine Variante, die aber im Grunde das gleiche aussagte; ich wurde oft mit Chamfort und sogar mit La Rochefoucauld verglichen.
Der Erfolg beim Publikum dagegen ließ ein wenig länger auf sich warten, bis Bernard Kouchner schließlich erklärte, diese Show habe ihn persönlich »angewidert«, was zur Folge hatte, daß ich bis zum Schluß vor ausverkauftem Haus auftrat. Auf Isabelles Rat hin schrieb ich einen kurzen Artikel mit dem Titel »Danke, Bernard« für die Rubrik »Rebond« in Liberation. Auf jeden Fall lief die Sache gut, sehr gut sogar, was mich
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