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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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ausschließlich profitorientiert ist; und es erleichtert sie auch, sich davon zu überzeugen, daß die Menschheit nicht nur aus raubgierigen Wesen und Parasiten besteht; aber ab einer bestimmten Häufung wird auch ihnen die Sache zu eng. Bisher konnte von einer Häufung der Reichen in der Provinz Almeria jedoch keine Rede sein, im Gegenteil; ich mußte also einen Reichen finden, der relativ jung und unternehmungslustig war, einen leicht intellektuell angehauchten Vorkämpfer mit einem Hang für Ökologie, vielleicht einen Reichen, dem es Spaß machte, Steine zu beobachten, jemanden, der es etwa in der Informatik zu Reichtum gebracht hatte. Und schlimmstenfalls war Marbella ja nur hundertfünfzig Kilometer entfernt und die Autobahn bereits geplant. Niemand würde mich hier jedenfalls vermissen. Aber wohin sollte ich gehen? Und wozu? Um ganz ehrlich zu sein, schämte ich mich — schämte ich mich, dem Grundstücksmakler zu gestehen, daß meine Ehe in die Brüche gegangen war und ich auch keine Geliebte hatte, die etwas Leben in dieses riesige Haus bringen könnte, schämte ich mich einzugestehen, daß ich allein lebte.
    Dagegen war es durchaus möglich, die Fotos zu verbrennen. Ich verbrachte einen ganzen Tag damit, sie zu sammeln, ich hatte Tausende davon, denn ich hatte schon immer eine Manie für Erinnerungsfotos gehabt; ich sortierte sie nur sehr oberflächlich, es kann sein, daß ein paar Gelegenheitsflammen der Sache ebenfalls zum Opfer fielen. Bei Sonnenuntergang beförderte ich das Ganze in einer Schubkarre auf einen sandigen Streifen neben der Terrasse, goß einen Kanister Benzin darüber und riß ein Streichholz an. Es war ein herrliches Feuer, das meterhoch in den Himmel loderte, man konnte es bestimmt in einem Umkreis von mehreren Kilometern sehen, vielleicht sogar von der algerischen Küste. Die Freude darüber war lebhaft, aber nur sehr kurz: Gegen vier Uhr morgens wachte ich wieder auf und hatte den Eindruck, als wimmele es unter meiner Haut von Würmern, und spürte das beinah unwiderstehliche Verlangen, mich blutig zu kratzen. Ich rief Isabelle an, die beim zweiten Klingelton abnahm — sie schlief also auch nicht. Wir einigten uns darauf, daß ich Fox in den nächsten Tagen abholen und er bis Ende September bei mir bleiben würde.
    Wie bei allen Mercedes-Modellen ab einer gewissen PS-Stärke — mit Ausnahme des SLR McLaren — war die Geschwindigkeit des SL 600 elektronisch auf 250 Stundenkilometer begrenzt. Ich glaube nicht, daß ich zwischen Murcia und Albacete oft langsamer fuhr. Es gab ein paar lange, sehr weite Kurven; ich empfand dabei ein Gefühl abstrakter Macht, vermutlich wie jemand, der sich vor dem Tod nicht fürchtet. Eine angepeilte Bahn bleibt vollkommen, auch wenn sie mit dem Tod endet: Es kann vorkommen, daß man auf einen Lastwagen, ein Auto, das sich überschlagen hat, oder ein anderes unerwartetes Hindernis stößt; das nimmt der angepeilten Bahn nichts von ihrer Schönheit. Kurz nach Tarancon verlangsamte ich etwas, um in die R 3 und anschließend die M 5 einzubiegen, fuhr aber selten langsamer als 180. Auf der völlig leeren R 2, die in einer Entfernung von etwa dreißig Kilometern um Madrid herumführt, bretterte ich wieder mit Höchstgeschwindigkeit. Ich durchquerte Kastilien auf der N 1 und fuhr mit 220 km/h bis Vitoria-Gasteiz, ehe ich die kurvenreichen Straßen im Baskenland erreichte. Abends um elf kam ich in Biarritz an und nahm mir ein Zimmer im Sofitel Miramar. Ich war am darauffolgenden Morgen um zehn mit Isabelle im »Surfeur d'Argent« verabredet. Zu meiner großen Überraschung hatte sie abgenommen, ich hatte sogar den Eindruck, daß sie all ihre Pfunde wieder verloren hatte. Ihr Gesicht war schmal, ein wenig runzlig und auch vom Kummer gezeichnet, aber sie war wieder elegant und schön.
    »Wie hast du es bloß geschafft, mit dem Trinken aufzuhören?« fragte ich sie.
    »Morphium.«
    »Ist es denn nicht schwer, daran zu kommen?«
    »Nein, nein, im Gegenteil, das ist sehr einfach; in allen Teesalons wird hier gedealt.«
    So, so, die reichen Tanten aus Biarritz spritzten jetzt Morphium; das war ein richtiger Knüller.
    »Eine Frage des Alters …«, sagte sie zu mir. »Das sind jetzt Wohlstandstussen aus der Rock and Roll -Generation; die haben zwangsläufig andere Bedürfnisse. Aber mach dir keine Illusionen«, fügte sie hinzu, »mein Gesicht hat zwar wieder eine einigermaßen normale Form angenommen, aber mein Körper ist total abgeschlafft; ich wage dir nicht mal

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