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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Möglichkeit nicht aus, auf Informationen oder sogar materielle Elemente zu stoßen, die der Pfeilrichtung der Zeit entgegenliefen — er versprach, mir eine Dokumentation über dieses Thema zu schicken, was er kurz nach Beendigung des Seminars auch tat.
    Ermutigt durch seine Offenheit, sprach ich ihn auf ein Thema an, das mich schon seit Beginn unserer Begegnung beschäftigte, und zwar das Versprechen der Unsterblichkeit, das den Elohimiten gegeben wurde. Ich wußte, daß jedem Anhänger ein paar Hautzellen entnommen wurden und daß die heutige Technik es erlaubte, diese auf unbegrenzte Zeit zu konservieren; und ich zweifelte nicht daran, daß die kleinen Schwierigkeiten, die zur Zeit noch das Klonen von Menschen unmöglich machten, früher oder später gelöst werden würden; aber die Persönlichkeit? Wie sollte der neue Klon auch nur die geringste Erinnerung an die Vergangenheit seines Ahnen haben? Und wie konnte er das Gefühl haben, die Reinkarnation desselben Wesens zu sein, wenn das Gedächtnis nicht bewahrt wurde?
    Zum erstenmal spürte ich in seinem Blick etwas anderes als die kühle Kompetenz eines Mannes, der klare Begriffe gewohnt war, zum erstenmal hatte ich den Eindruck, daß eine gewisse Erregung, ja Begeisterung in ihm aufkam. Das war sein Thema, dieser Sache hatte er sein ganzes Leben gewidmet. Er schlug mir vor, ihn an die Bar zu begleiten, und bestellte sich eine heiße Sahneschokolade, ich nahm einen Whisky — er schien diese Mißachtung der Regeln, die in der Sekte üblich waren, nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen. Kühe kamen hinter den großen Fenstern auf uns zu und blieben stehen, als wollten sie uns beobachten.
    »Bei gewissen Rundwürmern«, begann er, »sind durch einfaches Zentrifugieren der zuständigen Neuronen und das Einspritzen des Eiweißstoffisolats in das Gehirn des neuen Subjekts interessante Ergebnisse erzielt worden: Auf diese Weise konnten gewisse Reflexe des Vermeidungsverhaltens übertragen werden, insbesondere jene, die mit einem elektrischen Schlag verbunden sind, und sogar das Vermeiden gewisser Wege in einem einfachen Labyrinth.«
    In diesem Augenblick hatte ich den Eindruck, daß die Kühe nickten, aber er nahm auch die Kühe nicht wahr.
    »Diese Ergebnisse lassen sich natürlich nicht auf Wirbeltiere übertragen und erst recht nicht auf hochentwickelte Primaten wie den Menschen. Ich nehme an, Sie erinnern sich an das, was ich am ersten Tag des Seminars über die neuronalen Netzwerke gesagt habe… Nun, ein solches System läßt sich durchaus nachbilden, allerdings nicht mit Hilfe von Computern, wie wir sie kennen, sondern auf einer Turingmaschine besonderer Art, die man einen Automaten mit flexibler Vernetzung nennen könnte, an dem ich gerade arbeite. Im Unterschied zu den Rechnern herkömmlicher Art sind die Automaten mit flexibler Vernetzung in der Lage, unterschiedliche, wandlungsfähige Verbindungen zwischen benachbarten Recheneinheiten herzustellen; sie sind also memorier- und lernfähig. Die Zahl der Recheneinheiten, die in Verbindung gesetzt werden können, ist im Prinzip unbegrenzt und somit die Komplexität der denkbaren Netzwerke ebenso. Die augenblickliche, noch sehr beträchtliche Schwierigkeit besteht darin, eine bijektive Beziehung zwischen den Neuronen eines menschlichen Gehirns, die wenige Minuten nach dessen Tod entnommen werden, und dem Speicher eines nicht programmierten Automaten herzustellen. Da die Lebensdauer des letzteren praktisch unbegrenzt ist, besteht der nächste Schritt einfach darin, die Information in umgekehrter Richtung wieder in das Gehirn des neuen Klons einzugeben; das ist die Phase des Downloadens, die, da bin ich mir sicher, keine besonderen Schwierigkeiten bereiten wird, sobald das Uploaden erst mal richtig funktioniert.«
    Es wurde dunkel; die Kühe wandten sich allmählich ab, zogen sich auf ihre Weiden zurück, und ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß sie seinen Optimismus nicht teilten. Ehe er uns verließ, gab er mir seine Visitenkarte: Professor Slotan Miskiewicz von der Universität Toronto. Es sei ihm ein Vergnügen gewesen, sich mit mir zu unterhalten, sagte er, ein echtes Vergnügen; und wenn ich weitere Auskünfte von ihm haben wolle, könne ich ihm gern eine E-Mail schicken. Er käme mit seinen Forschungsarbeiten im Augenblick sehr gut voran, er sei überzeugt, daß er im kommenden Jahr bedeutsame Fortschritte machen werde, bemerkte er im Brustton der Überzeugung, der mir ein wenig gezwungen

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