Die Mglichkeit einer Insel
geschluckt zu werden. »Wenn wir Goldman oder Obispo genommen hätten, wie alle anderen Musiker, dann wäre uns das erspart geblieben …«, sagte ich schließlich zum künstlerischen Leiter von Virgin, der daraufhin einen langen Seufzer ausstieß; im Grunde war er mit mir einer Meinung, sein voriges Projekt mit Batasuna, eine auf Hardcore Techno gesampelte Polyphonie mit Schafen aus den Pyrenäen, war im übrigen ein kommerzieller Flop gewesen. Aber er verfügte eben nur über ein begrenztes Budget und konnte es sich nicht leisten, es zu überziehen, sonst hatte er darüber mit der Hauptgeschäftsstelle in New Jersey verhandeln müssen, kurz gesagt, ich gab's auf. Man kann sich eben auf niemanden verlassen. Mein Aufenthalt in Paris während der Zeit, in der ich die Aufnahme machte, war dennoch eher angenehm. Ich wohnte im Hotel Lutetia, was mich an Francis Blanche und die Kommandantur erinnerte, also an all die schönen Jahre, in denen ich voller Eifer und voller Haß war und die Zukunft noch vor mir hatte. Jeden Abend las ich vor dem Einschlafen Agatha Christie, vor allem ihre früheren Werke, ihre letzten Bücher hatten mich zu sehr bewegt, besonders Endless night, das mich in eine regelrechte Trance der Trauer versetzt hatte. Und beim Ende von Curtain: Poirot's last case hatte ich immer bei den letzten Sätzen des Abschiedsbriefs von Poirot an Hastings weinen müssen.
»Aber jetzt bin ich sehr demütig und sage wie ein Kind: ›Ich weiß es nicht…‹
Leben Sie wohl, cher ami! Das Amylnitrit ist nicht in Reichweite meines Bettes. Ich habe es weggetan. Ich ziehe es vor, mich ganz in die Hände des bon Dieu zu geben. Möge seine Strafe oder seine Gnade mir rasch zuteil werden!
Wir werden nie mehr zusammen auf die Jagd gehen, mein Freund. Unsere erste Jagd fand hier statt — und auch unsere letzte…
Es waren schöne Zeiten.
Ja, es waren schöne Zeiten ..,«
Außer dem Kyrieeleison der h-Moll-Messe und vielleicht dem Adagio von Barber gab es kaum etwas, was mich in solch einen Zustand versetzen konnte. Körperliches Gebrechen, Krankheit, Vergessen, all das war gut: Es war real. Vor Agatha Christie hatte niemand die Trostlosigkeit des körperlichen Verfalls und den allmählichen Verlust all dessen, was dem Leben Sinn und Freude verleiht, auf so ergreifende Weise dargestellt; und auch nach ihr war es niemandem gelungen, es ihr gleichzutun. Ein paar Tage lang hatte ich fast Lust, mich wieder meiner Karriere zu widmen und etwas Ernsthaftes zu beginnen. In dieser geistigen Verfassung rief ich Vincent Greilsamer an, den elohimitischen Künstler; er schien sich über meinen Anruf zu freuen, und wir beschlossen, uns noch am selben Abend zu treffen.
Ich kam mit fünf Minuten Verspätung in dem Bistro an der Porte de Versailles an, wo wir uns verabredet hatten. Er stand auf und winkte mir zu. Die Vereine zur Bekämpfung von Sekten geben im allgemeinen den Ratschlag, man solle sich nicht von dem positiven Eindruck beirren lassen, den ein erster Kontakt oder ein Einführungskurs sehr oft vermittelten, bei denen die schädlichen Seiten der Doktrin durchaus verschwiegen werden konnten. Ich muß sagen, daß ich bisher nicht recht sah, wo die Falle sein sollte; dieser Typ zum Beispiel machte einen völlig normalen Eindruck. Na gut, er war ein bißchen introvertiert und vermutlich ziemlich einsam, aber auch nicht mehr als ich. Er drückte sich einfach und sehr direkt aus.
»Ich kenne mich mit zeitgenössischer Kunst nicht besonders aus«, sagte ich entschuldigend. »Ich habe von Marcel Duchamp gehört, aber das ist schon alles.«
»Ja, er hat ohne Zweifel den größten Einfluß auf die Kunst des zwanzigsten Jahrhunderts ausgeübt. Seltsamerweise denkt man seltener an Yves Klein; dabei beziehen sich alle Leute, die Performances oder Happenings veranstalten oder etwas mit ihrem eigenen Körper machen, mehr oder weniger bewußt auf ihn.«
Er verstummte. Als er sah, daß ich nicht antwortete und nicht einmal zu begreifen schien, wovon er sprach, fuhr er fort:
»Schematisch gesehen gibt es drei große Tendenzen. Die erste und wichtigste, die 80 Prozent der Subventionen bekommt und deren Werke sich am teuersten verkaufen, läßt sich der Kategorie des gore zurechnen: Amputationen, Kannibalismus, Enukleationen usw. Alles, was zum Beispiel in Zusammenarbeit mit Massenmördern in der Kunst gemacht wird. Die zweite hat einen Bezug zum Humor: etwa die unmißverständliche Ironie im Zusammenhang mit dem Kunstmarkt im Stil von Ben;
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