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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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zu zeigen, wie es unter dem Jogginganzug aussieht.« Sie wies auf den blauweißgestreiften Trainingsanzug, der ihr drei Nummern zu groß war. »Ich habe mit dem Ballett aufgehört, treibe keinen Sport mehr, mache gar nichts mehr; ich gehe nicht mal mehr schwimmen. Morgens eine Spritze und abends eine, und in der Zwischenzeit betrachte ich das Meer, das ist alles. Du fehlst mir nicht mal mehr, zumindest nicht oft. Mir fehlt überhaupt nichts mehr. Fox spielt viel, er ist hier sehr glücklich …« Ich nickte, trank meine heiße Schokolade aus und bezahlte meine Hotelrechnung. Eine Stunde später war ich auf der Höhe von Bilbao.
    Einen Monat Ferien mit meinem Hund: auf der Treppe einen Ball werfen, gemeinsam mit ihm am Strand entlangrennen. Leben.
    Am 30. September um siebzehn Uhr stellte Isabelle ihren Wagen vor der Einfahrt der Residenz ab. Sie hatte einen Mitsubishi Space Star, ein Fahrzeug, das im Autojournal in die Kategorie der »sportlichen Minivans« eingestuft wurde. Auf den Rat ihrer Mutter hin hatte sie eine »Box Office«-Ausführung gewählt. Sie blieb etwa vierzig Minuten, ehe sie wieder nach Biarritz zurückfuhr. »Ja, ja, ich werde langsam zu einer alten Frau …«, sagte sie, während sie Fox auf der Rückbank unterbrachte. Eine liebe alte Frau in ihrem Mitsubishi Space Star.
     

Daniel24,10
    Schon seit mehreren Wochen versucht Vincent27, einen Kontakt herzustellen. Ich hatte nur ab und zu mit Vincent26 in Verbindung gestanden; er hatte mich weder über seinen bevorstehenden Tod in Kenntnis gesetzt noch darüber, dass er sich ins Intermediärstadium begab. Bei den Neo-Menschen sind die Intermediärphasen häufig nur von kurzer Dauer. Jeder kann seine Digitaladresse nach Belieben ändern und somit unauffindbar werden; ich habe so wenige Kontakte aufgenommen, daß ich das nie für nötig gehalten habe. Wochenlang stelle ich oft keine Verbindung her, was Marie22, meine eifrigste Gesprächspartnerin, zur Verzweiflung bringt. Wie Smith bereits einräumte, wird die Trennung von Subjekt und Objekt durch ein konvergierendes Bündel von Mißerfolgen im Verlauf kognitiver Prozesse hervorgerufen. Nagel bemerkt, daß die Trennung zwischen Subjekten auf die gleiche Art erfolgt (mit der Einschränkung, daß der Mißerfolg in diesem Fall nicht empirischer, sondern affektiver Natur ist). In Mißerfolgen und durch Mißerfolge bildet sich das Subjekt, und der Übergang von der Menschheit zur Neo-Menschheit und der damit einhergegangene Verlust aller körperlichen Kontakte hat nichts an dieser grundlegenden ontologischen Gegebenheit geändert. Genau wie die Menschen sind auch wir nicht vom Status des Individuums und der damit verbundenen dumpfen Verlassenheit befreit; aber im Gegensatz zu ihnen wissen wir, daß dieser Status nur die Folge einer gescheiterten Wahrnehmung ist, anders gesagt, des Nichts, des Fehlens der Worte. Wir sind vom Tod erfüllt, ja geradezu formatiert und haben daher nicht mehr die Kraft, in die Anwesenheit vorzudringen. Für manche Menschen konnte die Einsamkeit zur beglückenden Erfahrung werden, wenn sie der Gruppe den Rücken kehrten; doch das bedeutete auch, daß diese Einzelgänger ihre ursprüngliche Zugehörigkeit aufgeben und andere Gesetze, eine andere Gruppe entdecken mußten. Heute, da es keine Gruppe mehr gibt und alle Stämme zersprengt sind, wissen wir, daß wir isoliert sind, uns jedoch gleichen, und wir haben die Lust verloren, uns zusammenzutun.
    Drei Tage lang sandte mir Marie22 keinerlei Nachricht; das war ungewöhnlich. Nachdem ich eine Weile geschwankt hatte, übermittelte ich ihr schließlich eine codierende Sequenz, die zur Kamera der Videoüberwachung der Einheit Proyecciones XXI,13 führte; sie antwortete umgehend mit folgender Nachricht:
    Unter der Sonne des toten Vogels
    Liegt die endlose Ebene
    Es gibt keinen beschaulichen Tod:
    Zeig mir etwas von deinem Körper.
    535356, 5375, 246133, 435366. Unter der angegebenen Adresse erschien nichts, nicht einmal eine Fehlermeldung; ein völlig weißer Bildschirm. Sie wollte also, daß ich in den nicht codierenden Modus überging. Ich zögerte noch, während auf dem weißen Bildschirm ganz langsam folgende Nachricht erschien: »Wie du vermutlich erraten hast, bin ich eine Intermediäre.« Die Buchstaben verschwanden, und eine neue Nachricht erschien: »Morgen sterbe ich.«
    Seufzend schaltete ich die Videoanlage ein und richtete die Gummilinse auf meinen entblößten Körper. »Weiter nach unten bitte«, schrieb sie. Ich schlug

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