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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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ihr vor, in den Sprachmodus umzuschalten. Nach einer Minute antwortete sie: »Ich bin eine alte Intermediäre, die bald stirbt; ich weiß nicht, ob meine Stimme angenehm klingt. Aber wenn es dir lieber ist, dann ja …« Da begriff ich, daß sie mir nichts von ihrem Körper zeigen wollte; der Verfall im Intermediärstadium ist oft sehr drastisch.
    Ihre Stimme war tatsächlich fast völlig synthetisch; aber ihre Intonationen hatten manchmal noch etwas Neo-Menschliches, vor allem bei den Vokalen, die eine seltsam sanfte Färbung annahmen. Ich machte einen langsamen Panoramaschwenk bis zu meinem Bauch. »Noch weiter nach unten …«, sagte sie mit kaum hörbarer Stimme. »Zeig mir doch bitte dein Geschlechtsteil.« Ich gehorchte; ich masturbierte mein Glied nach den Regeln, die uns die Höchste Schwester gelehrt hat; manche weiblichen Intermediären haben gegen Ende ihres Lebens Sehnsucht nach einem männlichen Glied und betrachten es gern in den letzten Minuten ihres Reallebens; Marie22 gehörte offensichtlich zu ihnen — angesichts der Nachrichten, die wir in der Vergangenheit ausgetauscht hatten, wunderte mich das nicht wirklich.
    Drei Minuten lang geschah nichts; dann erhielt ich die letzte Nachricht — Marie22 war wieder in den nichtvokalen Modus gegangen: »Danke, Daniel. Ich trenne jetzt die Verbindung, schreibe die letzten Seiten meines Kommentars und bereite mich dann auf das Ende vor. In ein paar Tagen wird sich Marie23 hier einrichten. Ich hinterlasse ihr deine IP-Adresse und bitte sie, Kontakt mit dir zu halten. In der Zeit nach der Zweiten Verringerung haben sich durch unsere Teilinkarnationen verschiedene Dinge ereignet; andere Dinge werden sich durch unsere zukünftigen Inkarnationen ereignen. Unsere Trennung wird keine endgültige sein; das ahne ich.«
     
     

Daniel1,11
    »Uns geht es wie allen Künstlern,
    wir glauben an unser Produkt.«
    Gruppe Début de soirée
    Mit trauriger Resignation machte ich mich in den ersten Oktobertagen wieder an die Arbeit — zu anderem war ich einfach nicht fähig. Nun, das Wort Arbeit ist vielleicht ein bißchen zu hoch gegriffen, um mein erstes Vorhaben zu charakterisieren — eine Rap-CD mit dem Titel »Fick die Beduinen« und dem Untertitel »Tribute to Ariel Sharon«. Sie wurde von der Kritik gut aufgenommen (ich zierte erneut das Cover von Radikal Hip-Hop, diesmal allerdings ohne mein Auto), verkaufte sich aber nicht besonders. In der Presse nahm ich wieder einmal die Position eines paradoxen Kreuzritters der freien Welt ein, aber der Skandal war nicht so heftig wie zur Zeit meiner Show »Am liebsten Gruppensex mit Palästinenserinnen« — diesmal, sagte ich mir mit einem leichten Gefühl der Nostalgie, waren die radikalen Islamisten wirklich out.
    Die relativ schlechten Verkaufszahlen waren vermutlich darauf zurückzuführen, daß die Musik ziemlich mittelmäßig war; es war nicht einmal richtiger Rap, ich hatte mich damit begnügt, meine Sketche auf einem Drum'n'Bass-Rhythmus zu sampeln und ab und zu ein paar Vokalparts hinzuzufügen — Jamel Debbouze nahm an einem der Chorusse teil. Ich hatte immerhin einen Originalsong mit dem Titel »Reißt auf den Anus der Neger« geschrieben, mit dem ich recht zufrieden war: Neger reimte sich mal auf heißen Feger und mal auf integer; Anus auf Lapsus oder Cunnilingus; sehr hübsche lyrics, die sich auf mehreren Ebenen interpretieren ließen — der Journalist von Radikal Hip-Hop, der privat selbst ein Rapper war, es aber nicht gewagt hatte, in seiner Redaktion davon zu erzählen, war sichtlich beeindruckt, und in seinem Artikel verglich er mich sogar mit Maurice Scève. Der Titel hätte also durchaus zu einem Hit werden können, außerdem hatte ich einen guten buzz; es war wirklich schade, daß die Musik im Vergleich dazu etwas abfiel. Man hatte mir viel Gutes über einen unabhängigen Produzenten namens Bertrand Batasuna erzählt, der Kultplatten, die nicht mehr zu finden waren, bei einem obskuren Label unter der Hand wieder herausbrachte; doch ich wurde bitter enttäuscht. Der Typ war nicht nur eine kreative Null — während der Aufnahme lag er schnarchend auf dem Teppichboden und furzte alle Viertelstunde —, er war auch privat sehr unangenehm, ein richtiger Nazi — später erfuhr ich, daß er tatsächlich bei der FANE mitgemischt hatte. Gott sei Dank bekam er nicht viel Geld; aber wenn das alles war, was Virgin mir als »neue französische Talente« anzubieten hatte, dann verdienten sie wirklich, von Sony BMG

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