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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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vorkam.
    Eine richtige Abordnung begleitete mich am Tag meines Rückflugs zum Flughafen von Zwork: außer dem Propheten kamen Flic, der Professor, der Humorist und ein paar minder bedeutende Anhänger wie Patrick, Fadiah und Vincent mit, der VIP der Bildenden Kunst, der mir äußerst sympathisch war — wir tauschten unsere Adressen aus, und er lud mich ein, ihn zu besuchen, wenn ich mal nach Paris käme. Selbstverständlich sei ich auch zum Winterseminar eingeladen, das im März in Lanzarote stattfinden werde — und das, wie mir der Prophet ankündigte, in ganz großem Rahmen abgehalten werde; die Anhänger aus der ganzen Welt seien diesmal eingeladen.
    Ich hatte im Laufe dieser Woche wirklich nur nette Bekanntschaften gemacht, überlegte ich, während ich durch den Metalldetektor schritt. Keine Frau dagegen; allerdings stand mir im Moment auch nicht der Sinn danach. Ich hatte auch nicht die Absicht, ihrer Bewegung beizutreten, das versteht sich wohl von selbst; im Grunde war es nur Neugier, die mich angelockt hatte, die gute alte Neugier, die mich schon seit meiner Kindheit erfüllte und die offenbar langlebiger war als sexuelles Begehren.
    Ich saß in einer zweimotorigen Propellermaschine, die den Eindruck machte, als könne sie jeden Augenblick im Flug explodieren. Als wir über endloses Weideland flogen, wurde mir auf einmal bewußt, daß die Leute, ganz zu schweigen von mir, während der Dauer des Seminars gar nicht so viel gevögelt hatten — soweit ich das einschätzen konnte natürlich, aber ich glaube, das konnte ich ganz gut, denn in solcher Art Beobachtungen hatte ich ziemlich viel Erfahrung. Die Paare waren in Paaren geblieben — mir war nichts über Gruppensex und nicht einmal etwas über einen banalen Dreier zu Ohren gekommen; und die Leute, die allein gekommen waren (die große Mehrheit), waren allein geblieben. Theoretisch war alles sehr offen, alle Formen der Sexualität waren erlaubt, der Prophet ermutigte seine Anhänger sogar dazu; in der Praxis trugen die Frauen zwar erotische Kleidung, und es gab auch enge Körperkontakte, aber dabei blieb es. Das ist doch seltsam und müßte mal näher untersucht werden, sagte ich mir, ehe ich über meinem Tablett mit dem Essen einschlief.
    Nach dreimaligem Umsteigen und einem insgesamt ziemlich anstrengenden Flug landete ich schließlich in Almeria. Dort herrschte eine Temperatur von etwa 45 Grad, also dreißig Grad mehr als in Zwork. Das war gut, reichte aber nicht aus, um die Beklemmung zu verscheuchen, die in mir aufkam. Während ich über die mit Steinplatten ausgelegten Flure meiner Villa ging, stellte ich die Klimageräte eines nach dem anderen ab, die die Hausmeisterin am Tag zuvor für meine Rückkehr eingeschaltet hatte — eine alte, häßliche Rumänin mit ausgesprochen schlechten Zähnen, aber sie sprach ausgezeichnet französisch; sie hatte, wie man so sagt, mein volles Vertrauen, auch wenn ich inzwischen darauf verzichtet hatte, sie das Haus putzen zu lassen, weil ich es nicht mehr ertrug, daß ein menschliches Wesen meine persönlichen Gegenstände sah. Es war durchaus ein Witz, sagte ich mir manchmal, daß ich mit meinen vierzig Millionen Euro selbst mit einem Aufnehmer die Böden scheuerte; aber so war das nun mal, dagegen kam ich nicht an, die Vorstellung, daß ein noch so unbedeutendes menschliches Wesen alle Einzelheiten meines Daseins und dessen Leere beobachten konnte, war mir unerträglich geworden. Als ich vor dem Spiegel im großen Wohnzimmer vorbeiging (einem riesigen Spiegel, der eine ganze Wand bedeckte; wenn ich mit einer Frau zusammengelebt hätte, hätten wir uns darin beim Liebesspiel betrachten können usw.), bekam ich einen Schock, als ich mich darin sah. Ich hatte derart abgenommen, daß ich fast durchsichtig wirkte. Ich wurde allmählich zu einem Gespenst, einem Gespenst der sonnigen Länder. Der Professor hatte recht: Ich mußte umziehen, die Fotos verbrennen und all das.
    Finanziell gesehen wäre ein Umzug ein lohnendes Geschäft gewesen: Die Grundstückspreise hatten sich seit meiner Ankunft fast verdreifacht. Man mußte nur noch einen Käufer finden; aber Reiche gab es genug, und Marbella war inzwischen etwas zu überlaufen — die Reichen sind zwar gern von Reichen umgeben, das ist richtig, man darf wohl sagen, daß es sie beruhigt; es stellt für sie eine gewisse Erleichterung dar, auf Menschen zu treffen, die die gleichen Qualen ausstehen und mit denen sie eine Beziehung unterhalten können, die scheinbar nicht

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