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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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fühlte ich mich der Literatur manchmal nahe; immerhin schrieb ich meine Sketche selbst, und auch wenn ich mich nur bemühte, den Stil der gesprochenen Sprache einigermaßen zu parodieren, wußte ich, wie schwierig es ist, Worte aneinanderzureihen und sie zu Sätzen zusammenzufügen, ohne daß das Ganze inkohärent wird oder langweilig wirkt. In dieser Zeitschrift hatte ich zwei Jahre zuvor einen langen Artikel gelesen, der dem Ende der Poesie gewidmet war — ein Ende, das der Autor des Artikels für unabwendbar hielt. Ihm zufolge hatte die Poesie als nicht kontextuelle Sprache, die die Unterscheidung zwischen Objekt und Eigenschaft noch nicht integriert hatte, die Welt der Menschen endgültig verlassen. Sie war in einem ursprünglichen Diesseits angesiedelt, zu dem wir nie wieder Zugang haben würden, denn es ging der Zeit, in der sich das Objekt und die Sprache gebildet hatten, voraus. Da sie keine präziseren Informationen übermitteln konnte als körperliche und emotionale Empfindungen, die von ihrem Wesen her zutiefst mit dem magischen Zustand des menschlichen Geistes verbunden waren, war sie durch die Einführung verläßlicher Verfahren zur Erfassung objektiver Prozesse ein für allemal außer Kraft gesetzt worden. All das hatte mich damals überzeugt, aber ich hatte mich an diesem Morgen noch nicht gewaschen und war noch von Esthers Düften, von ihrem Geschmack erfüllt (wir benutzten keine Kondome, das Thema war nicht angeschnitten worden, ich glaube, es wäre ihr nicht einmal in den Sinn gekommen — auch mir war es nicht eingefallen, und das war schon erstaunlicher, denn meine ersten Liebeserfahrungen stammten aus einer Zeit, als AIDS noch unweigerlich zum Tod führte, und das war immerhin etwas, was mich hätte prägen sollen). Na ja, AIDS war vermutlich dem kontextuellen Bereich zuzurechnen, damit durfte man sich sicher trösten, auf jeden Fall schrieb ich an jenem Morgen mein erstes Gedicht, während ich noch in Esthers Geruch gehüllt war. Hier also dieses Gedicht:
    Im Grunde habe ich stets gewußt,
    Daß ich die Liebe kennenlerne,
    Auch wenn es erst sehr spät,
    Kurz vor meinem Tod geschieht.
    Ich habe immer darauf vertraut,
    Die Hoffnung nie aufgegeben,
    Lange vor deiner Gegenwart
    Bist du mir verkündet worden.
    Du sollst es also sein,
    Die mich mit großer Freude
    Über deine Gegenwart erfüllt
    Mit deiner so realen Haut
    Beim Streicheln so sanft
    So zart und so leicht
    Kein göttliches Wesen und doch
    Eine geballte Zärtlichkeit.
    Nach dieser Nacht war die Sonne wieder über Madrid aufgegangen. Ich rief ein Taxi und wartete ein paar Minuten in der Hotelhalle, während Esther neben mir zahlreiche Nachrichten beantwortete, die sie auf ihrem Handy erwarteten. Sie hatte schon mehrmals im Laufe der Nacht telefoniert, sie schien ein reges Gesellschaftsleben zu haben; meistens beendete sie das Gespräch mit der Formel un besito oder manchmal un beso. Ich sprach nur schlecht Spanisch, und der feine Unterschied, falls es ihn geben sollte, entging mir, aber als das Taxi vor dem Hotel hielt, fiel mir auf, daß sie in der Praxis nur selten küßte. Das war erstaunlich, denn ansonsten schätzte sie Penetrationen in jeder Form, streckte mir den Hintern mit großer Anmut entgegen (sie hatte einen kleinen hohen Hintern, der eher dem eines Jungen glich), und lutschte mir ohne zu zögern und sogar mit einer gewissen Begeisterung einen ab; aber bei jedem meiner Versuche, sie zu küssen, hatte sie das Gesicht ein wenig verlegen abgewandt.
    Ich verstaute meine Reisetasche im Kofferraum; sie hielt mir ihre Wange hin, ich drückte ihr schnell einen Kuß darauf, dann stieg ich ins Auto. Kurz nachdem das Taxi losgefahren war, drehte ich mich um und winkte ihr noch einmal zu; aber sie telefonierte schon wieder und bemerkte mein Zeichen nicht.
    Kaum war ich auf dem Flughafen von Almeria eingetroffen, wurde mir schlagartig klar, wie mein Leben in den folgenden Wochen aussehen würde. Schon seit Jahren ließ ich mein Handy fast ständig ausgeschaltet: Das war eine Statusfrage, ich war ein europäischer Star; wenn man mich erreichen wollte, mußte man mir eine Nachricht hinterlassen und warten, daß ich zurückrief. Das war zwar manchmal hart gewesen, aber ich hatte mich an diese Regel gehalten und war im Laufe der Jahre auch gut damit gefahren: Die Produzenten hinterließen Nachrichten; bekannte Schauspieler und Chefredakteure von Zeitungen hinterließen Nachrichten; ich war auf dem Gipfel meines Ruhms und hatte vor,

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