Die Mglichkeit einer Insel
Menschengeschlecht, daß die meisten Menschen — alle Zeugnisse stimmen darin überein — diese Liebe ihren Hunden gegenüber erwiderten. Der Hund war also eine Liebesmaschine mit Umkehreffekt — deren Wirksamkeit sich allerdings auf Hunde beschränkte und nie auf andere Menschen übertrug.
Kein Thema wird in den Lebensberichten wie auch in dem literarischen Korpus, den sie uns hinterlassen haben, so oft angeschnitten wie die Liebe; sowohl homosexuelle als auch heterosexuelle Liebe werden angesprochen, ohne daß wir bis jetzt einen nennenswerten Unterschied entdecken konnten; kein anderes Thema war so umstritten und so heiß diskutiert worden, vor allem in der Endphase der Menschheitsgeschichte, einer Epoche, in der die stimmungsmäßigen Schwankungen hinsichtlich des Glaubens an die Liebe konstant und schwindelerregend wurden. Kein anderes Thema scheint die Menschen derart beschäftigt zu haben; im Vergleich dazu verlieren in den Lebensberichten selbst das Geld und die Befriedigung durch Kampf und Ruhm an dramatischer Kraft. Die Liebe scheint für die Menschen der letzten Periode zugleich ein Höhepunkt und eine Unmöglichkeit, Gegenstand des Bedauerns und der Verehrung gewesen zu sein, kurz gesagt, der Brennpunkt, in dem sich alles Leid und alle Freude vereinigen konnten. Der schmerzhafte, abgehackte Lebensbericht von Daniel1, der oft hemmungslos sentimental und dann wieder ausgesprochen zynisch ist und voller Widersprüche steckt, ist in dieser Hinsicht beispielhaft.
Daniel1,14
Ich hätte mir fast ein anderes Auto gemietet, um Esther vom Flughafen in Almeria abzuholen; aus Angst, daß mein Mercedes SL 600-Coupe einen negativen Eindruck auf sie machen könne, aber auch der Swimmingpool, die Whirlpools und ganz allgemein der zur Schau gestellte Luxus, der meine Lebensweise kennzeichnete. Doch ich täuschte mich: Esther war sehr realistisch eingestellt; sie wußte, daß ich Erfolg gehabt hatte, und rechnete daher damit, daß ich auf großem Fuß lebte; sie kannte alle möglichen Menschen, sehr reiche wie auch sehr arme, und hatte nichts daran auszusetzen; sie akzeptierte diese Ungleichheit wie auch alle anderen ganz selbstverständlich. Meine Generation war noch von diversen Diskussionen über die Frage geprägt, welches Wirtschaftssystem wünschenswerter war, Diskussionen, die immer damit endeten, daß die Überlegenheit der freien Marktwirtschaft anerkannt wurde — und zwar mit dem erdrückenden Argument, daß die Völker, denen man eine andere Organisationsform aufzuzwingen versucht hatte, diese rasch und meist ziemlich ungestüm abgeschüttelt hatten, sobald sich ihnen die Möglichkeit dazu bot. In Esthers Generation gab es nicht einmal mehr eine Diskussion darüber; der Kapitalismus war für sie ein normales Milieu, in dem sie sich mit jener Gewandtheit bewegte, die sie in allen Situationen des Lebens auszeichnete; eine Demonstration gegen Massenentlassungen wäre ihr so absurd vorgekommen wie eine Demonstration gegen die Klimaabkühlung oder eine Wanderheuschreckeninvasion in Nordafrika. Die Vorstellung von kollektiven Forderungen ganz allgemein war ihr fremd, sie war schon immer der Ansicht gewesen, jeder müsse für sich selbst sorgen und ohne fremde Hilfe auskommen, sowohl auf finanzieller Ebene wie in allen wichtigen Fragen des Lebens. Vermutlich, um sich in einer gewissen Selbstdisziplin zu üben, zwang sie sich zu finanzieller Unabhängigkeit, und auch wenn ihre Schwester ziemlich reich war, hatte Esther seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr darauf bestanden, sich selbst ihr Taschengeld zu verdienen, um sich Platten und Kleider zu kaufen, auch wenn sie dazu Prospekte verteilen, Pizzas ausliefern oder ähnlich undankbare Jobs annehmen mußte. Zum Glück verzichtete sie wenigstens darauf, mir vorzuschlagen, die Restaurantrechnungen mit mir zu teilen oder ähnliche Dinge; aber ich spürte von Anfang an, daß ein zu kostbares Geschenk sie verstimmt hätte, da es leicht eine Bedrohung ihrer Unabhängigkeit bedeuten könnte.
Sie trug bei ihrer Ankunft einen türkisfarbenen Plissee-Minirock und ein Betty-Boop-T-Shirt. Auf dem Parkplatz des Flughafens versuchte ich sie in die Arme zu nehmen, doch sie befreite sich gleich ein wenig geniert. Als sie ihr Gepäck im Kofferraum verstaute, hob ein Windstoß ihren Rock an, und ich hatte den Eindruck, daß sie keinen Slip trug. Sobald ich am Steuer saß, stellte ich ihr die Frage. Sie nickte lächelnd, schob den Rock bis zur Taille hoch und spreizte leicht
Weitere Kostenlose Bücher