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Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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wieder die Oberhand, und am Ende vögeln sie noch weniger als zu der Zeit, da die religiöse Moral noch intakt war; aber Esther gehörte einer Generation an, die sich mit dieser kurzen idealen Periode identifiziert hatte, die in Spanien später als in anderen Ländern eingetreten war. Sie war auf so einfache und ehrliche Weise von der Sexualität fasziniert gewesen und hatte sich so bereitwillig auf alle Spiele, alle Erfahrungen sexueller Art eingelassen, ohne sich je etwas Böses dabei zu denken, daß ich es ihr nicht einmal übel nehmen konnte. Ich hatte nur das hartnäckige, schmerzliche Gefühl, daß ich sie zu spät, viel zu spät kennengelernt und dadurch mein Leben verpfuscht hatte; dieses Gefühl würde mich, wie ich wußte, nie verlassen, ganz einfach, weil es der Wahrheit entsprach.
    Wir sahen uns in den darauffolgenden Wochen sehr oft, ich verbrachte fast jedes Wochenende in Madrid. Ich hatte keine Ahnung, ob sie während meiner Abwesenheit mit anderen Männern schlief, ich vermute ja, aber es gelang mir ganz gut, diesen Gedanken zu verdrängen, denn schließlich hatte sie jedesmal für mich Zeit, freute sich, mich zu sehen, und gab sich mir so unbefangen und hemmungslos hin wie eh und je, so daß ich wirklich nicht wußte, was ich mehr verlangen konnte. Ich kam nicht einmal auf den Gedanken, oder nur sehr selten, mich zu fragen, was so ein hübsches Mädchen an mir finden konnte. Schließlich war ich witzig, sie lachte viel, wenn wir zusammen waren, vielleicht rettete mich auch heute noch das gleiche wie vor dreißig Jahren, als ich mit Sylvie die ersten Schritte in meinem Liebesleben unternommen hatte, das insgesamt gesehen ziemlich unbefriedigend gewesen und von langen Durststrecken gekennzeichnet war. Auf jeden Fall zog sie weder mein Geld noch meine Berühmtheit an — im Gegenteil, jedesmal wenn man mich in ihrer Begleitung auf der Straße erkannte, schien ihr das eher peinlich zu sein. Sie mochte es auch nicht, wenn man sie selbst aufgrund einer der Filme, in denen sie mitgewirkt hatte, erkannte — das kam ebenfalls vor, wenn auch seltener. Man muß wohl dazusagen, daß sie sich nicht wirklich als Schauspielerin betrachtete; die meisten Schauspieler akzeptieren ohne Schwierigkeiten, daß man sie aufgrund ihrer Berühmtheit liebt, und im Grunde haben sie damit recht, denn sie ist Teil ihrer selbst, ihrer authentischen Persönlichkeit, zumindest jener, die sie gewählt haben. Dagegen kommt es — zumindest in den westlichen Ländern — nur selten vor, daß ein Mann akzeptiert, wegen seines Geldes geliebt zu werden. Bei den chinesischen Geschäftsleuten ist das anders, die chinesischen Geschäftsleute mit ihrer kindlichen Seele sind der Ansicht, daß ihr Mercedes der S-Klasse, ihr Badezimmer mit Wassermassagegerät und allgemeiner gesagt ihr Geld Teil ihrer selbst, ihrer eigentlichen Persönlichkeit ist, und haben daher nichts dagegen, wenn ein Mädchen von diesen materiellen Dingen begeistert ist. Sie haben zu diesen Dingen den gleichen unmittelbaren, direkten Bezug, den ein westlicher Mensch zumeist zur Schönheit seines Gesichts hat — und im Grunde haben sie völlig recht, denn in einem politisch und wirtschaftlich stabilen System kommt es nur selten vor, daß sie ihre Villa an der Côte d'Azur oder ihren Mercedes der S-Klasse verlieren, die körperliche Schönheit dagegen wird auch ihnen oft durch Krankheit geraubt, noch ehe sie diese zwangsläufig durch das Alter verlieren. Trotz alledem blieb ich ein Neurotiker aus dem Westen und kein chinesischer Geschäftsmann, und in meiner ganz und gar unkindlichen Seele zog ich es bei weitem vor, daß man mich wegen meines Humors und nicht wegen meines Geldes oder meiner Berühmtheit schätzte — denn ich war mir trotz meiner langen, erfolgreichen Karriere nicht sicher, ob ich mein Bestes gegeben und alle Facetten meiner Persönlichkeit erforscht hatte. Ich war kein echter Künstler wie Vincent zum Beispiel, denn ich wußte genau, daß das Leben im Grunde überhaupt nicht witzig war, hatte mich aber geweigert, dem Rechnung zu tragen, ich war eben immer ein bißchen erfolgsgeil gewesen, hatte mich dem Geschmack des Publikums angepaßt, war nie wirklich aufrichtig gewesen, vorausgesetzt, so etwas ist überhaupt möglich, aber ich wußte, daß man das voraussetzen muß, und selbst wenn die Aufrichtigkeit als solche nichts besagt, ist sie dennoch die Voraussetzung allen Handelns. Ich wußte genau, daß keiner meiner billigen Sketche, keines meiner

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