Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mglichkeit einer Insel

Die Mglichkeit einer Insel

Titel: Die Mglichkeit einer Insel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
Vom Netzwerk:
aufrichtige Ekel war wohl daran schuld, daß ich es mir nicht verkneifen konnte, über den Film zu sprechen, obwohl ich mir ziemlich sicher war, daß Esther ihn aus Gewohnheit und Konformismus gut finden würde, weil es einfach cool war, die Darstellung von Gewalt in der Kunst zu befürworten, und weil er ihr auf unreflektierte Weise gefiel; so wie sie auch Michael Haneke mochte, ohne sich darüber im klaren zu sein, daß die schmerzhafte, moralische Botschaft von Michael Hanekes Filmen in diametralem Gegensatz zu Larry Clarks Filmen stand. Ich wußte, daß ich besser den Mund gehalten hätte und daß der Verzicht auf meine übliche Komikerrolle mir nur Ärger einbringen konnte, aber ich schaffte es einfach nicht, der Kitzel der Perversion war zu stark; wir waren in einer seltsamen Bar mit kitschigen Spiegeln und Goldverzierungen, in der sich vor allem überdrehte Homosexuelle aufhielten, die ohne jede Hemmung in backrooms fickten — direkt neben dem Schankraum und für alle zugänglich —, während kleine Gruppen von Mädchen und Jungen an den Nachbartischen ungerührt ihre Cola tranken. Ich goß meinen Tequila mit Eis hinunter und erklärte ihr, daß ich meine gesamte Karriere und meinen Reichtum dem Umstand verdankte, daß ich systematisch die negativen Instinkte und die absurde Anziehung des Westens für Zynismus und alles Böse kommerziell ausgeschlachtet hatte und folglich wußte, wovon ich sprach, wenn ich behauptete, daß Larry Clark unter den Händlern des Bösen einer der übelsten und vulgärsten war; und zwar ganz einfach, weil er ohne die geringsten Skrupel die Partei der Jugendlichen gegen die Alten ergriff, weil alle seine Filme die Kinder dazu aufhetzten, sich ihren Eltern gegenüber unmenschlich und ohne jedes Mitleid zu verhalten, und das wiederum sei weder neu noch originell, das sei seit fünfzig Jahren in allen Kulturbereichen das gleiche, und diese pseudokulturelle Tendenz kaschiere in Wirklichkeit nur den Wunsch, in jenen Urzustand zurückzukehren, wo sich die jungen Leute die Alten rücksichtslos und ungerührt vom Halse schafften; einfach weil diese zu schwach waren, um sich zu verteidigen, daher sei diese Tendenz nur eine für die Moderne typische brutale Regression auf ein Stadium, das jeder Zivilisation vorausging, denn jede Zivilisation ließ sich daran messen, wie sie mit den Alten und Schwachen umging, also mit jenen, die nicht mehr produktiv und nicht mehr erwünscht waren, kurz gesagt, Larry Clark und sein abstoßender Handlanger Harmony Korine waren nur zwei besonders unangenehme — und vom künstlerischen Standpunkt aus gesehen besonders miserable — Vertreter all dieser Nietzsche-Epigonen, die schon viel zu lange ihr Unwesen in der Kulturszene getrieben hatten, und konnten auf keinen Fall auf die gleiche Stufe gestellt werden wie Michael Haneke oder ich zum Beispiel — ich hatte mich immer bemüht, eine gewisse Form von Zweifel, Unsicherheit und Unbehagen in meinen Shows zum Ausdruck zu bringen, auch wenn sie (das gebe ich gern zu) im großen und ganzen beschissen waren. Sie hatte mir mit betrübter Miene, aber großer Aufmerksamkeit zugehört und ihre Fanta noch nicht angerührt.
    Der Vorteil einer solchen Moralpredigt besteht darin, daß Gespräche dieser Art, da schon seit Jahren einer überaus starken Zensur unterworfen, zwangsläufig einen Überraschungseffekt erzielen und sofort die Aufmerksamkeit des Gesprächspartners erwecken; ihr Nachteil liegt darin, daß man nie richtig ernst genommen wird. Esthers ernster, aufmerksamer Gesichtsausdruck verunsicherte mich einen Augenblick, aber dann bestellte ich mir ein weiteres Glas Tequila und fuhr fort, wobei mir durchaus klar war, daß meine Erregung etwas Künstliches und meine Aufrichtigkeit einen falschen Unterton hatte: Ganz abgesehen davon, daß Larry Clark nur ein unbedeutender kleiner Geschäftemacher war und es als solches schon etwas Lächerliches hatte, ihn in einem Atemzug mit Nietzsche zu nennen, waren es Themen, von denen ich mich im Grunde nicht stärker betroffen fühlte als vom Hunger in der Welt, den Menschenrechten oder irgend so einem Scheiß. Dennoch redete ich mich, angestachelt von einer seltsamen Mischung aus Bosheit und Masochismus, von der ich mir vielleicht erhoffte, sie möge mich ins Verderben stürzen, nachdem sie mir Reichtum und Ruhm beschert hatte, mit zunehmender Verbitterung in Rage. Offensichtlich war es nicht genug, daß die Alten nicht mehr das Recht zu vögeln hatten, fuhr ich grimmig

Weitere Kostenlose Bücher