Die Midlife-Boomer
jemand in den verbleibenden 15 Jahren seines Lebens nicht mehr arbeiten möchte, und setzen dies ins Verhältnis zu allen anderen, die im erwerbsfähigen Alter sind und noch mehr als 15 Jahre zu leben haben. Dieses Vorgehen ist auch deshalb vernünftig, weil es die historische Entwicklung des Ruhestandes miteinbezieht.
Als Reichskanzler Otto von Bismarck die Rentenversicherung in Deutschland erfand, erreichte kaum ein Arbeitnehmer die damalige Altersgrenze von 65 Jahren. Erst die Sterbetafeln von 1901/1910 54 verzeichneten für einen 65-jährigen Mann eine weitere durchschnittliche Lebenserwartung von 8,1 Jahren. 1998/2000 lag dieser Wert bereits bei 16 Jahren. Bis zur Mitte des aktuellen Jahrhunderts wird er nach den Prognosen noch einmal deutlich auf 21,6 Jahre zunehmen.
Wird der Altersquotient nun nach der Methode von Sanderson und Scherbov gemessen, ergibt sich ein komplett anderes Bild: Selbst im Jahr 2050 läge die Belastung der Sozialsysteme durch die Alterung nur geringfügig unter dem Status quo des Jahres 2010. Die Belastung geht also zurück, sogar unter den Stand des Jahres 2010.
Noch interessanter ist eine weitere neu entwickelte Maßzahl für die Beziehung zwischen »denen, die Hilfe benötigen, und denjenigen, die diese geben können«. Die beiden Autoren haben sie die »adult disability dependency ration« (ADDR) genannt. Sie arbeitet nicht mit der verbleibenden Lebenszeit, sondern mit der gesundheitlichen Beeinträchtigung als entscheidendem Kriterium. Dabei wird die Zahl aller Erwachsenen, die mindestens 20 Jahre alt und gesundheitlich so beeinträchtigt sind, dass sie Unterstützung brauchen, durch die Zahl derer ohne derartige Handicaps geteilt. Der Grund ist offensichtlich: So bekommt man eine Maßzahl für den Anteil der Gesellschaft, der Unterstützung durch die Sozialsysteme braucht, weil er nicht selbst für sich sorgen kann.
Das Ergebnis ist spannend: Der ADDR wächst in den nächsten vierzig Jahren noch viel langsamer und erreicht bis 2050 zu keinem Zeitpunkt das Niveau, das der heutige Altersquotient hat. »Die Bevölkerung wird zwar älter, aber sie wird gleichzeitig auch gesünder – und diese beiden Effekte heben sich auf«, ziehen die beiden Wissenschaftler als Fazit.
Diese Erkenntnis gilt für alle betrachteten europäischen Länder und die USA. Für Österreich haben die beiden Autoren die Zahlen genau aufgedröselt. So müssten 100 Erwerbstätige zwischen 15 und 64 im Jahr 2048 nach konventioneller Rechenart 55 Rentner finanzieren. Nach den 15 verbleibenden Lebensjahren berechnet, sinkt das Verhältnis auf 100 zu 29.
Benutzt man den Indikator der Hilfsbedürftigkeit, schrumpfen die Abhängigkeiten noch weiter: Dabei kommen dann 18 gesundheitlich beeinträchtigte Personen im Alter von über 20 Jahren auf 100 Gesunde in dieser Altersklasse.
Sanderson und Scherbov fordern deshalb den Abschied von starren Altersquotienten mit fixen Altersgrenzen. Stattdessen müsse die Bevölkerung über die beiden die Alterung beherrschenden Trends besser aufgeklärt werden: Wir leben länger. Und die zusätzlichen Jahre sind in der Regel gesunde Jahre.
Für Deutschland kann man auch sagen, wo die Menschen mit der höchsten Lebenserwartung zu Hause sind. Das ist im beschaulichen Uni-Städtchen Tübingen in Baden-Württemberg. Der Neckar fließt träge vorbei, die Häuser in der Innenstadt sind proper renoviert, die Arbeitslosigkeit so niedrig, dass man von Vollbeschäftigung sprechen kann.
Überall gibt es Fahrradwege, und die vielen Studenten aus aller Welt geben der Kleinstadt im Schwäbischen ein kosmopolitisches Flair. Was ist es, das hier geborene Mädchen und Jungen mit der höchsten Lebenserwartung ausstattet, die Deutschland zu bieten hat?
84,4 Jahre wird ein neugeborenes Mädchen in Tübingen, 79,8 Jahre ein dort auf die Welt gekommener Junge. Damit übertreffen beide die derzeitige durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland um 22 (Mädchen) und 28 (Jungen) Monate.
Noch signifikanter ist der Vergleich mit den Regionen mit den geringsten Lebenserwartungen: Ein neugeborener Junge in Sachsen-Anhalt darf derzeit auf 75 Jahre und drei Monate hoffen, ein Mädchen im Saarland auf 81 Jahre und drei Monate.
»Vielfältig« seien die Gründe für diese regional unterschiedliche Lebenserwartung, sagen die Statistiker. Zwei davon seien jedoch entscheidend: »Je besser der Bildungsstand und die Einkommensverhältnisse, desto niedriger fällt tendenziell die Sterblichkeit
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