Die Midlife-Boomer
Handelskammertages 125 ergab.
Kein Zweifel: Der Fachkräftemangel ist da. Noch ist er in einigen Bereichen auf den Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Monate zurückzuführen. Doch immer häufiger ist der Fachkräftemangel demografisch bedingt. Die Arbeitskräfte in Deutschland altern. Und sie werden weniger.
Der demografische Wandel ist keinesfalls die große Katastrophe, als die er so oft gezeichnet wird. Denn viele Mythen über ältere Mitarbeiter sind, wie die vorangegangenen Kapitel bewiesen haben, schlichtweg falsch: Weder ihre Produktivität noch ihre kognitiven Fähigkeiten gehen zurück. Körperliche Beeinträchtigungen sind nicht ganz von der Hand zu weisen, können aber mit klugen Strategien so angegangen werden, dass die gesamte Belegschaft am Ende gesünder und produktiver wird. Das zeigen nicht nur die jüngsten Forschungen zu diesem Thema, sondern auch die konkreten Erfahrungen all der innovativen Unternehmen, die bereits seit einigen Jahren mit dem demografischen Wandel umgehen.
Demografiestrategien helfen nicht nur den Älteren im Betrieb, länger aktiv zu sein. Alle Mitarbeiter profitieren davon, das Unternehmen wird insgesamt leistungsfähiger. BMW-Personalvorstand Harald Krüger 126 bringt das auf den Punkt, wenn er über das Pilotprojekt Heute für morgen spricht, mit dem der Automobilbauer die demografische Entwicklung in die Unternehmensstrategie einbezieht: »In unserem Pilotprojekt haben wir dieselbe Produktivität, zum Teil sogar eine bessere Qualität bei stabiler Krankenquote.« Andere Unternehmen konnten ihren Krankenstand durch die Demografieprojekte weit überdurchschnittlich senken. So hat die Sozial-Holding der Stadt Mönchengladbach ihre Fehlquoten schlichtweg halbiert, wie der zuständige Vorstand Helmut Wallraffen-Dreisow berichtet 127 .
Vor jedem konkreten Demografieprojekt aber muss sich ein Bewusstseinswandel in den Firmen und vor allem bei der Firmenleitung vollziehen. Das entscheidende Erfolgskriterium für alle Demografiestrategien ist das Altersbild des jeweiligen Unternehmens und seiner Führungsetage.
Leider haben nicht nur Führungskräfte ein negatives Bild vom Altern, sondern auch die Arbeitnehmer selbst. »Ältere haben ein sehr geringes Selbstwertgefühl. Sie wissen, was sie mit 20 konnten und jetzt nicht mehr können. Aber sie wissen nicht, was sie jetzt Neues können«, sagt Rudolf Kast 128 , der frühere Personalchef der vielfach für ihre Demografiekonzepte ausgezeichneten Sick AG. Weil der Sensorenhersteller im Schwarzwald aufgrund seiner Lage fern den Wirtschaftszentren Süddeutschlands schwer Fachkräfte findet, hat er schon vor Jahren begonnen, sich auf die Alterung der Belegschaft einzustellen. Heute sind die Älteren bei der Sick AG nicht nur selbstverständlicher Bestandteil des Unternehmens, sondern sich auch ihrer ganz besonderen Stärken sehr wohl bewusst: des Erfahrungswissens eines langen Arbeitslebens, der überlegten Reaktion auch in Stresssituationen und der anhaltenden Kreativität für Lösungen, die nicht in Lehrbüchern zu finden sind.
Gemischte Altersteams sind auch bei MAHLE Behr Industry ein Baustein der demografischen Anpassungsstrategie. Petra Meißner 129 staunte nicht schlecht, als sie das Resultat der Altersstrukturanalyse im Reichenbacher Werk der MAHLE Behr Industry GmbH bekam. Mit durchschnittlich 44,6 Jahren waren ihre Mitarbeiter weit älter als erwartet. Und nun wollten auch noch zwei Mitarbeiter mit langjährigem Erfahrungswissen in den Ruhestand gehen. »Das war für uns im Jahr 2005 die Initialzündung zu unserem Junior-Senior-Programm«, erzählt die Personalchefin des Werks in Sachsen.
MAHLE Behr beteiligte sich an dem EU-Förderprogramm LIPA (Lernen im Prozess der Arbeit) und arbeitete mit einem Institut Fragebögen aus, um das Erfahrungswissen der ausscheidenden Mitarbeiter zu dokumentieren. »Der Prozess war anfangs wirklich kompliziert, weil wir bei null gestartet sind«, erinnert sich Petra Meißner. Nirgendwo war aufgezeichnet, was die beiden Mitarbeiter – ein Konstrukteur für Werkzeugvorrichtungen und ein Entwicklungsingenieur – in ihrem langen Arbeitsleben an Wissen angehäuft hatten und was davon wie weitergegeben werden konnte und musste.
Im Verlauf des Projekts wurde immer klarer, dass der Wissenstransfer am besten in Tandems von einem jungen und einem älteren Mitarbeiter zu organisieren ist. Acht solcher Tandems gibt es bislang im Angestelltenbereich bei MAHLE Behr. Sie arbeiten mindestens
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