Die Midlife-Boomer
achtzig Jahren da, die sich alle unterschiedliche Dinge mit den Flying Spaces vorstellen konnten«, erinnert sich Architekt Lohmann. Die meisten wollten darin wohnen, manche aber auch ein Atelier oder ein Yogastudio einrichten und auch ein Musikzimmer.
Fürs Seniorenwohnen sind die Flying Spaces nach Ansicht von Jürgen Lohmann geradezu optimal. »Man kann sie um einen Innenhof als Treffpunkt herum anordnen«, meint er, »und trotzdem hätte jeder sein eigenes Haus und seinen eigenen Raum.« Auch der finanzielle Aufwand ist klar kalkulierbar, weil die Wohnwürfel in der Fabrik vorgefertigt werden. Ab 50.000 Euro sei ein Flying Space zu haben, sagt Lohmann.
Er ist zuversichtlich, dass sein Flying Space zur rechten Zeit kommt: »Man kann ihn sich beispielsweise auch auf einem Hochhausdach vorstellen, wenn die Dachlasten ausreichen«, sagt er und malt sich die Sensation aus, wenn der Kran die mobilen Einheiten hoch über die Dächer der Stadt hievt: »Stellen Sie sich das vor, Sie haben innerhalb eines Tages ein komplettes Haus auf dem Haus – und können fortan die ganze Stadt überblicken.«
Innovative Architekturprojekte kommen auch aus Japan. Dort ist der demografische Wandel noch weiter fortgeschritten als in Deutschland, und es gibt in den Städten zudem extrem wenig Platz. Eines der spannendsten Experimente derzeit ist das Moriyama House in Tokio. Auf dem Gelände eines normalen Mehrfamilienhauses hat der Architekt Ryue Nishisawa eine »Miniaturstadt aus zehn jeweils ein- bis dreigeschossigen Wohnkuben, die eher an frei stehende Zimmer erinnern« gebaut, wie Niklas Maak in der FAZ 149 schreibt.
Die Architektur ist spektakulär: Jeder Mieter hat seinen eigenen, abgegrenzten Raum mit allen Funktionen einer Wohnung – Bad, Küche, Schlafen, Wohnen. Manche der Mieter haben Dachterrassen, andere Zugang zu kleinen Gärten, denn der Platz zwischen den Wohnkuben dient als gemeinsames Garten- und Freiareal.
Für FAZ-Autor Maak ist das Konzept die perfekte Weiterentwicklung der WG-Ideologie seiner Studententage. »Ich saß, zum ersten Mal, in einer Wohngemeinschaft, einer Kommune, die funktionierte – weil sie nicht in die falsche architektonische Form gezwungen war. Es war schlagartig klar, dass das Problem der meisten Kommunen und WGs neben dem ideologischen Überbau die Architektur ist«, schreibt er. »Wenn man zehn Menschen in einer ehemals repräsentativen, aber um einen kleinfamiliären Lebensentwurf herum konzipierten Wohnung mit nur einer Küche und einer Toilette zusammenpfercht, entsteht zwangsläufig eine massiv klaustrophobische Grundstimmung, divergente Hygienevorstellungen kollidieren.«
Das sei im Moriyama House ganz anders: Jeder habe ein »Mikrohaus mit Bad und Kochplatte. Wer nicht will, nutzt den Gemeinschaftsraum nicht und verlässt die Agglomeration, ohne durch das soziale Labyrinth zu spazieren.«
Maak schreibt, dass das Modellprojekt in Tokio in kurzer Zeit etliche Nachahmer gefunden habe: Architekten wie Yoshichika Takagi 150 , Megumi Matsubara 151 , Takeshi Hosaka 152 und Sou Fujimoto. Sie alle bauten ein »soziopolitisches Experiment, das zeigt, mit wie geringen finanziellen und räumlichen Ressourcen jene Privatsphäre und sogar das Heimelige geboten werden kann, für das sich die Leute bisher immer in endlose Verschuldungsschlaufen stürzten.«
Für Maak passt sich diese Architektur »an unser Leben an, nicht umgekehrt«. Sie überwinde »die festungsartige Isolation des Privaten, ohne eine Kernzone des Intimen aufzugeben«. Für den Architekturkritiker hat sie damit im Kern eine politische Funktion, weil sie frei macht.
Räume der Zukunft sind auch das Thema des Berliner Architekten Eckard Feddersen 153 . Denn oft sind es die kleinen Dinge, die im Alltag ganz besonders nerven. Warum beispielsweise ist das Schloss bei Türklinken immer unterhalb angebracht? »Umgekehrt würde viel mehr Sinn machen«, sagt Feddersen, »dann käme man besser an das Schloss ran, und es wäre heller beleuchtet«. Oder warum gibt es keine Standardtüren mit einer Möglichkeit, die Einkaufstasche darauf abzustellen und sich nicht mehr bücken zu müssen?
Der Berliner stellt sich diese Fragen seit zwanzig Jahren. Damals hatte er angefangen, Seniorenimmobilien für moderne Ansprüche zu bauen. Feddersen bezeichnet sich selbst als Babyboomer: »In unserer Generation hat das Thema der Selbstbestimmung eine zentrale Bedeutung«, sagt der 1946 geborene Architekt. »Wir werden es nicht zulassen, dass man uns
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