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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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allen Heiligen und der Mutter Gottes, wo ist sie ausgebrochen?«
    »Beruhige dich, noch ist es nicht so weit. Aber ich hatte jüngst einen Traum, in dem mir Jesus Christus, unser aller Erretter, erschien und mir kundtat, dass die Menschen gesündigt haben und er sie deshalb erneut mit der Seuche schlagen will. Ich sprach zu ihm: ›Meister, was kann ich tun, dass ich das Leid von den Sündigen abwende?‹ Und er antwortete: ›Gehe hin und versammle die Tapferen und die Braven um dich, ziehe mit ihnen durch das Land und nimm alle Schuld auf dich, wie ich sie einst auf mich genommen habe. Mache dir eine Geißel aus Stricken, wie ich sie mir einst gemacht habe, und treibe die Pestis davon, wie ich einst die Schacherer aus dem Tempel getrieben habe. Die Geißel aber behalte und strafe dich damit selbst, auf dass ich nicht die Menschen strafe. So du aber meinen Worten zuwiderhandelst, wird ein großes Heulen und Zähneklappern unter den Menschen im Lombardischen anheben.‹ Ich erwachte schreckensbleich und sprach: ›Ja, Herr, so wird es sein. Dein Wille geschehe!‹ Nun, Edoardo, hast du etwas zu essen für deine Brüder in Christo?«
    Während Arnulf noch sprach, hatten einige seiner Männer ihren Oberkörper entblößt und begonnen sich zu geißeln. Sie taten es mit einem kräftigen Stock, an dem drei Stränge mit großen Knoten hingen. Durch die Knoten waren nadelspitze, eiserne Stacheln gesteckt. Es war ein Werkzeug, das direkt aus der Folterkammer zu kommen schien, und die Spuren, die es hinterließ, mussten Höllenqualen verursachen. Die Oberkörper der Männer bestanden nur noch aus blau verfärbten Schwellungen und aus blutigen Striemen.
    Edoardo schauderte. »Wie furchtbar muss die … die … sein!« Wieder schlug er das Kreuz und begann hastig ein Ave-Maria zu beten, besann sich dann und fragte: »Wo, äh, Meister Arnulf, wird die … die … denn ausbrechen?«
    »Zwischen Brescia und Mantua, und sie wird die ganze Lombardei überziehen, dann nach Osten wandern, uns entgegen, bis nach Padua und schließlich bis nach Venedig. Sie wird die ganze Welt mit ihrem faulen Hauch ersticken – wenn ihr nicht vorher Einhalt geboten wird von frommen Streitern wie meinen Männern und mir. Wir geißeln uns, damit der Kelch an dir vorübergeht, Edoardo!«
    Arnulfs Augen schossen jetzt Blitze, und er wiederholte: »Wir geißeln uns, damit der Kelch an dir vorübergeht, Edoardo! Hast du endlich ein wenig Nahrung übrig?«
    Doch der Bauer zögerte noch. »Ich … ich …«, hob er an und verstummte.
    »So schlage dich selbst, damit die Seuche dich und die Deinen verschont!« Arnulf stieß Edoardo seinen Geißelstock förmlich entgegen. »Schlage dich selbst! Oder soll ich es für dich erledigen?«
    »Nun, ich … ich könnte Euch eines meiner Ferkel überlassen.«
    »Nur eines? Drei!«
    Edoardo wollte zu einer Antwort ansetzen, aber ein deutliches »Nein!« kam ihm zuvor. Die Stimme gehörte Vitus, dem das Ganze zu bunt geworden war. Er sprang auf den Kutschbock neben den verängstigten Bauern und sagte: »Ein Ferkel muss genügen. Es gibt noch andere Bauern in der Gegend, die Ihr um Almosen bitten könnt.«
    »Wer bist du?«, fauchte Arnulf.
    »Mein Name ist Vitus von Campodios. Aber die Abstammung tut, genauso wie bei Euch, nichts zur Sache. Nennt mich einfach Cirurgicus, denn ein solcher bin ich.«
    »So wisset denn, Cirurgicus, dass es gottgefällig ist, den Armen zu geben. Derjenige, der wenig hat, gebe wenig, derjenige, der viel hat, gebe viel. Und wie Ihr sicher längst bemerkt habt, besitzt Edoardo viele Ferkel.«
    »Es sind insgesamt neun. Wenn Ihr also drei verlangt, wollt Ihr nicht weniger als ein Drittel seines Besitzes. Aber auch wenn Ihr Euch mit einem zufrieden geben würdet, hättet Ihr noch immer mehr als den Zehnten von ihm bekommen.« Vitus hielt inne. Die Situation erinnerte ihn an den Ablasshandel, den der Doctorus Martin Luther in Deutschland mit Recht verdammt hatte. Niemand durfte sich seiner Meinung nach zwischen Gott und den Menschen stellen – schon gar nicht, um Geld für den Bau des Petersdoms in Rom abzupressen. »Nehmt also in Gottes Namen ein Ferkel, und seid damit zufrieden. Und wenn Ihr von Gottgefälligkeit redet, so lasst Euch sagen, dass Armut immer mit Demut einhergeht und nicht mit dreisten Forderungen.« Er griff eines der kleinen Schweine heraus und übergab es Arnulf.
    Der Zugmeister nahm es, dabei ein Gesicht ziehend, als hätte er in eine saure Gurke gebissen.
    »Und nun

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