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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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eintönig und eingängig. Neugierig geworden, bahnte er sich einen Weg in die Richtung, aus der die Melodie zu kommen schien. Er passierte Sträucher und Bäume, die sich allmählich verdichteten und schließlich zu einem Wäldchen wurden. Vor einer Lichtung machte er Halt. Der Gesang war inzwischen immer lauter geworden, und nun sah er auch, wer da so schwermütige Weisen von sich gab: Es waren die Geißler. Sie hockten im Kreis um ein loderndes Feuer, über dem sich mehrere Spieße drehten. Ein knochiger Mann, Vitus erkannte in ihm den Zugmeister Arnulf, erhob sich und überprüfte den Garzustand des Fleisches. Offenbar war er mit dem Ergebnis zufrieden, denn er wandte sich seinen Männern zu und gebot Ruhe. Mit ausgestreckten Armen und weittragender Stimme rief er:
    »Herr, wir danken dir für die Speise, die du uns gegeben hast, obwohl wir Schuld auf uns geladen haben. Herr, wir danken dir für die Speise, die du uns gegeben hast, obwohl wir unwürdige Bittgänger sind. Herr, wir danken dir für die Speise, die du uns gegeben hast, obwohl wir schwach im Fleische sind. Deine Güte und deine Barmherzigkeit, deine Gnade und Nachsicht wiegen auf, was auf Erden mit zweierlei Gewicht gemessen wird. Wir wollen deine Speise andächtig entgegennehmen, denn sie ist dein Leib. Wir wollen dein Lob singen, solange du uns die Kraft dazu verleihst.« Er holte tief Luft und machte alsdann mit dröhnender Stimme den Vorsänger:
    »Oh, Herr, Du strenger Christengott,
    Du Schöpfer aller Welten.
    Du machtvoller Herr Zebaoth,
    Dir wollen wir’s vergelten,
    was Du getan in Stadt und Land
    für Deine armen Kinder.
    Wir danken Dir mit Herz und Hand,
    denn wir sind nichts als Sünder!
    Erbarme Dich, Vater unser,
    in Christi Namen, in Christi Namen …«
    Er endete, und die Männer ergänzten einträchtig:
    »Amen.«
    Die nächste Strophe begann, ebenfalls von der Unwürdigkeit der Menschen und der Macht des Einen handelnd und ebenfalls mit einem »Amen« der um das Feuer hockenden Geißler endend. Eine weitere folgte.
    Vitus fragte sich, wie lange Arnulf noch singen wollte, bis endlich die Mahlzeit beginnen konnte, und beschloss, sich zu entfernen. Auf dem Weg zurück zur Herberge vernahm er plötzlich ein leises Wimmern. Er blieb stehen und lauschte. Ja, kein Zweifel, da wimmerte und stöhnte ein Mensch. Er schob das Buschwerk beiseite, das ihn von der Quelle der Geräusche trennte, und erblickte im Halbdunkel einen Mann, gekrümmt vor Schmerzen und halb auf der Seite liegend. »He, du, was fehlt dir?«, rief er mit unterdrückter Stimme.
    Statt einer Antwort versuchte der Wimmernde hastig, sich im dichten Unterholz zu verstecken, doch Vitus war schneller. Er zog den Burschen mit sanfter Gewalt wieder hervor und erkannte, dass es sich um einen Jüngling handelte, einen Menschen, dessen Oberkörper zahllose Verletzungen aufwies. Zweifellos handelte es sich um einen der Geißler, und genauso klar schien, dass er dem Kreis seiner Mitbrüder entflohen war.
    »Keine Angst«, sagte Vitus, »ich will dir nur helfen.« Er hockte sich neben dem Jüngling nieder, um weniger bedrohlich zu wirken. »Wie heißt du?«
    Der junge Geißler schluckte. »Massimo.«
    »Schön, Massimo, ich nehme an, du willst nicht länger ein Geißler sein. Habe ich Recht?«
    Der Jüngling nickte. Dann verzog sich sein Gesicht. Ein neuerlicher Schmerzanfall schien ihn heimzusuchen. »Ich halt’s nicht mehr aus«, flüsterte er. »Nicht mehr aus halt ich’s. Das viele Schlagen und die Torturen.«
    »Ich verstehe. Ich mache dir einen Vorschlag: Wir gehen zur
Locanda Tozzi,
dort kannst du mir alles erzählen, während ich deine Wunden behandele. Ich bin Cirurgicus.«
    Vitus half Massimo auf, der immer wieder vor Schmerzen stöhnte. Der Jüngling klammerte sich an ihn und schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, wir Geißler dürfen keine festen Häuser betreten, wir haben gelobt, es nicht zu tun.«
    »Dann behandele ich dich eben vor der Herberge.« Vitus stützte Massimo und zog ihn energisch mit sich. Als sie vor dem baufälligen Gebäude angelangt waren, saßen der Zwerg und der Magister noch immer davor. Der kleine Gelehrte rief:
    »Hallo, du Unkraut, hast du es an der Blase, oder warum hat es so lange gedau … nanu, wen hast du denn da im Schlepptau?«
    »Das ist Massimo. Er ist ein Geißler und braucht rasch unsere Hilfe«, antwortete Vitus. »Hopp, hopp, stellt mal unsere drei Schemel zusammen.«
    Die Freunde gehorchten, dabei neugierig den Jüngling

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