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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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musternd. Vitus holte derweil seine Kiepe mit den Instrumenten und Arzneien aus der Herberge. Dann hieß er Massimo sich hinzulegen. »Auf den Bauch, mein Freund, denn dort hast du die wenigsten Wunden, wahrscheinlich, weil man ihn mit der Geißel schlecht erreicht.«
    Massimo streckte sich gehorsam aus. Als Vitus im Lichte einer Laterne mit der Untersuchung begann, biss der Jüngling die Zähne zusammen und keuchte: »Ich muss wieder zurück, Cirurgicus!«
    »Wieder zurück?« Vitus wusch sorgfältig die Wunden auf dem Rücken aus. »Ich denke, du wolltest die Geißlertruppe verlassen?«
    »Es geht nicht. Ich habe Meister Arnulf geschworen, bei ihm zu bleiben, so wie jeder andere von uns auch.«
    »Meister Arnulf? Was ist er für ein Mensch?«
    »Ich weiß es nicht. Keiner weiß es genau. Er kommt aus Tirol, so viel ist sicher. Manche sagen, er sei ein ehemaliger Benediktiner, sündig geworden und von seinem Kloster verstoßen. Aber das ist nur ein Gerücht. Er ist ein sehr gestrenger Herr, der aber auch sich selbst nie etwas zuschulden kommen lässt.«
    Der Magister reichte Vitus die Salbe von Doktor Chamoucha, denn ein anderes Unguentum war nicht mehr vorrätig, und sagte: »Er ist also so etwas wie ein selbst ernannter Anführer, stimmt’s? Ein Hirte Gottes, der seine Schafe um sich versammelt und streng darauf achtet, dass sie immer brav sind und nicht weglaufen?«
    »Nein, nein, so kann man es nicht sagen. Meister Arnulf bemüht sich wirklich, ein vorbildliches Leben zu führen. Er kümmert sich um alles, ist morgens der Erste und abends der Letzte. Er nimmt uns sogar die Beichte ab, denn es gibt vieles, was wir nicht dürfen.«
    »Wiewas, wiewas?«, fistelte Enano.
    »Es ist uns, zum Beispiel, verboten, mit Frauen zu reden.«
    Vitus begann vorsichtig einen Verband anzulegen. »Warum denn das?«
    »Es ist unkeusch und kann falsche Gelüste erwecken. Dabei ist es so schwer, das Verbot einzuhalten. Neulich, als wir durch ein Dorf zogen, fragte uns eine alte Frau, ob wir ein wenig Wasser trinken wollten, sie hätte gerade welches frisch aus dem Brunnen geholt. Ich antwortete ›Nein, danke, Mütterchen‹, nur diese drei Wörter, und doch musste ich mich später dafür bei Meister Arnulf verantworten. Meine Strafe war, mich einzeln vor allen Mitstreitern zu geißeln, bis ich ohnmächtig wurde. Als ich wieder wach wurde, kam eine zweite Bestrafung hinzu, der Meister nannte sie ›In-sich-Gehen‹. Sie bestand darin, dass ich dreihundertzehnmal das Paternoster beten musste, für jeden meiner Mitbrüder zehnmal. Es dauerte fast eine Woche, bis ich damit fertig war. Ja, Arnulf von Hohe ist ein strenger Herr.«
    »Und ein herrischer«, brummte der Magister. »Wenn ich daran denke, mit welcher Selbstverständlichkeit er Edoardo die Schweine abverlangte. Als das nicht klappte, blickte er drein, als hätte jemand sein Nachtgeschirr über ihm ausgeleert, nicht wahr, Vitus?«
    »Ganz recht. Er scheint es nicht gewöhnt zu sein, dass man ihm widerspricht. Es ist nie gut, wenn alle Macht in einer Hand ist.«
    »Wie wahr, wie wahr!« Der Magister reichte Vitus eine Schere, damit er die Enden des Verbandes abschneiden konnte. »Und was sagt unser streitbarer Zwerg dazu? Nanu, wo steckt der Winzling denn? Will wahrscheinlich ebenfalls seine Blase zur Kontraktion bringen, der Kleine. Ich verstehe nicht, Freunde, warum ihr immer laufen müsst. Ich sage euch: Selbst wenn ich jetzt wollte, ich könnte nicht …«
    »Pssst, ihr Gacken! Pssssst!« Enano kam von der Hinterseite der Herberge herangehuscht. »Der Kuttengeier, der Blaustrumpf-Arnulf walzt heran!«
    »Was?« Vitus sprang auf. »Los, Massimo, in die Herberge mit dir. Komm schon, geh hinein.« Er drängte den Jüngling durch die Tür und in den Raum, der ihnen als Nachtlager dienen sollte. Dann ging er wieder nach draußen. Und traf auf Arnulf von Hohe, der sich bereits vor dem Zwerg und dem Magister aufgebaut hatte.
    »Laudetur Jesus Christus!«,
schnarrte der Zugmeister. »Vor Einnahme der Abendspeise wurde mir unser Mitbruder Massimo als vermisst gemeldet. Er ist ein wenig, nun, sagen wir, zart besaitet und bedarf unser aller Zuspruch, um auf dem rechten Weg zu bleiben. Er ist ein verlorener Sohn, den meine Männer und ich suchen. Ihr habt ihn nicht zufällig gesehen?«
    »In aeternum, amen«,
antwortete Vitus.
    Arnulf zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Wie? Ihr könnt Latein?«
    »Sicher. Ich wuchs in einem Kloster auf und hatte seit meinem sechsten Lebensjahr

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