Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Luigi, so der Name ihres Vaters, hatte in den Städten und Dörfern seine Waren feilgeboten und von seinem kärglichen Verdienst ihrer beider Auskommen bestritten. Antonellas Aufgabe war es gewesen, den Karren zu ziehen und dem Vater die wunden Hände zu pflegen. Denn das Bürstenbinden war beileibe keine leichte Arbeit für alte Finger. Also hatte sie selbst das Handwerk erlernen müssen.
    Auch bei den barmherzigen Frauen eines entfernt gelegenen Klosters hatten sie eines Tages vorgesprochen, doch brauchten die Nonnen nichts, da sie ihre Bürsten und sonstigen Küchengerätschaften selbst herstellten. Dennoch hatten sie Vater und Tochter nicht einfach wieder ziehen lassen wollen und beiden eine warme Mahlzeit zukommen lassen. Antonella hatte darüber hinaus eine alte, vielfach ausgebesserte Tracht erhalten – ein Geschenk, das trotz seiner Flicken immer noch besser gewesen war als der Kittel, den sie vorher getragen hatte. Vor drei Tagen war dann das Furchtbare passiert: Räuber hatten sie des Nachts überfallen, ihren Vater getötet und den Karren entwendet. Um ein Haar hätten die Schandbuben ihr noch Gewalt angetan, aber im letzten Augenblick war es ihr gelungen, fortzulaufen und sich zu verstecken. Seitdem irrte sie umher, voller Angst und Verzweiflung, immer auf der Suche nach Christenmenschen, die ihr weiterhelfen konnten.
    »Wui, wui, dir strömt’s wohl mies«, fistelte der Zwerg Enano und schlang tröstend sein Ärmchen um Antonellas Schulter. »Bist aber bei ächtigen Gacken gelandet, ja, das biste. Nu kann dir nix mehr passiern.«
    Da Enano dieserart entschieden hatte, dass Antonella sie künftig begleitete, beließen die Freunde es dabei. Jeder war bemüht, der jungen Frau zu helfen, und kehrte seine ritterlichen Tugenden hervor. Am meisten aber kümmerte der Zwerg sich um sie. Sein neues Selbstbewusstsein erlaubte es ihm sogar, der Fremden schöne Augen zu machen, was dieser zu gefallen schien.
    »Bin grandiger als du holmen tust, viel grandiger!«, erklärte er lächelnd. »Wirst’s gleich spähen!« Und als die Gruppe wenig später aufbrach, begriff Antonella, was er mit seinen Worten gemeint hatte: Auf seinen Stelzen war er der Größte von allen.
    Und er stakste vorneweg.
     
    Am Abend mussten sie sich sputen, vor Einbruch der Nacht eine Locanda zu finden, und sich, wenn auch bedauernd, mit einer ziemlich dürftigen Behausung zufrieden geben. Überall starrte ihnen der Dreck entgegen, und wenn die Nächte nicht schon empfindlich kalt gewesen wären, hätten sie unter dem Sternenzelt geschlafen – oder, wie Enano es genannt hätte: »bei Mutter Grün«.
    Antonella hatte selbstverständlich einen eigenen Raum zugewiesen bekommen und war eben im Begriff, ihn zu betreten, als sie jäh aufschrie.
    »Wiewo? Was strömt?« Enano war als Erster bei ihr, um zu sehen, was geschehen war.
    Doch es war nichts geschehen. Gar nichts. Nur dass auf dem schmutzigen Boden etwas lag. Der Zwerg sah es erst auf den zweiten Blick, aber dann weiteten sich seine Äuglein, und er fistelte:
    »’n Knagerling, ’n toter Knagerling!«

[home]
    Der Überlandfahrer Fabio
    »
Uno messaggio!
Miabella hat einen Knaben geboren.
Das Dutzend ist voll.
Dio mio, una dozzina di figli!
Ich bin ein glücklicher Mann!«
    W enn es nicht so dunkel in der schäbigen Herberge gewesen wäre, hätte man gesehen, dass Vitus weiß wie die Wand war. »Eine Ratte!«, stieß er hervor. »Eine tote Ratte in diesem Dreckloch!« Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Doch am meisten plagte ihn die Vorstellung, die Ratte könnte an einem Biss von
Pulex pestis
verendet sein. Andererseits: Wie jede Kreatur musste auch eine Ratte irgendwann sterben. Und vielleicht war diese einfach nur alt gewesen?
    Vitus blickte sich um. Der Raum war wirklich erschreckend verwahrlost. Die richtige Brutstätte für Pestflöhe und böse Miasmen. Was hatte Arnulf von Hohe, der Eiferer, gesagt? Die Schlange Pest sei wieder auferstanden? Zehn mal tausend Tote habe es schon gegeben? Gewiss eine Übertreibung. Eine maßlose Übertreibung. Aber die tote Ratte vor seinen Füßen gab dem Ganzen eine neue Bedeutung. Wenn die Pestis nun doch erneut aufgeflackert war? Nicht auszudenken, was diesem Land und seinen Menschen dann bevorstand …
    »Wir können in dieser Drecksabsteige nicht übernachten«, sagte Vitus, sich zu den Gefährten umwendend. Alle hatten sich mittlerweile in Antonellas Raum eingefunden und starrten auf das tote Tier.
    Fabio kratzte sich am Kopf.

Weitere Kostenlose Bücher