Die Mission des Wanderchirurgen
müsst wissen, dass jede Brieftaube, die einigermaßen Verstand hat, in der Lage ist, nach Hause zu ihrem Schlag zurückzufliegen. In Bussolas Fall also nach Padua. Aber meine Schöne, meine Holde kann noch mehr: Sie findet mich anschließend auch hier wieder, und das ist außergewöhnlich. Ich kenne keine andere Taube, die das kann. Irgendetwas muss in ihrem Kopf sein, das ihr den Weg hin und zurück weist. Was es ist, weiß ich nicht, aber ich habe sie ›Bussola‹ genannt, was, wie euch bekannt sein dürfte, nichts anderes als Kompass heißt.«
Fabio beendete die Fütterung und band seinem Liebling ein kleines, zusammengerolltes Papier ans rote Bein. »Eine Nachricht an mein Weib und die Kinder. So wissen sie, dass es mir gut geht. Umgekehrt werde ich morgen oder übermorgen Bescheid haben, wie es in Padua steht.«
»Erstaunlich, ganz erstaunlich«, sagte der Magister.
»Nicht wahr!« Der stolze Taubenvater strich zart über Bussolas Gefieder. »Soviel ich gehört habe, gab es bisher nur eine einzige Taube, die so begabt war wie mein Liebling. Es war ein Vogel, der dem heiligen Franz von Assisi gehörte. Allerdings ist die Leistung seines Täuberichs nicht sonderlich hoch einzustufen, denn der heilige Franz konnte bekanntlich mit allen Tieren sprechen.«
Der Händler nahm seinen Liebling in die riesigen Pranken und wollte ihn auf den Käfig setzen, denn dies war das Startsignal für den Vogel, doch Vitus kam ihm zuvor und sagte: »Fabio, ich habe eine Idee. Wenn Bussola nach Padua zurückfliegt, könnte sie doch einen Gruß für Professor Girolamo mitnehmen. Er lehrt an der Universität und würde sich bestimmt freuen, ein paar Worte von uns zu erhalten. Meinst du, das wäre möglich?«
»
Certo, sì
, wenn’s weiter nichts ist!« Des Händlers Fasanenfeder wippte lustig. »Das ist eine Kleinigkeit für meine Schöne. Sie bekommt einfach ein zweites Briefchen ans andere Bein, und dann geht’s los.«
Wenig später hatte Vitus einen Gruß geschrieben, und Bussola erhob sich mit einem sanften Gurren in die Lüfte. »Sei vorsichtig, meine Schöne, meine Holde! Achte auf die bösen Falken und Sperber!«, rief Fabio ihr hinterher. Für einen Augenblick schien ihn so etwas wie Abschiedsschmerz zu drücken, doch dann siegte wieder seine Lebensfreude, und er sagte: »Wohlan, Freunde, der Tag ist noch jung, und die Straße will, dass wir sie unter die Füße nehmen.«
»Wui, wui, Abrakadabramann, die Stelzlinge wolln auch schon walzen.«
Fabio schnalzte mit der Zunge, und die Gäule zogen an. Er ging neben dem Wagen her, denn auf diese Weise konnte er sich besser mit den Freunden unterhalten. Außerdem türmten sich auf der Plattform noch immer so viele Waren, dass seine Zugtiere sich mächtig anstrengen mussten. Unter munteren Reden ging es voran, und irgendwann, den vor ihm dahinstelzenden Zwerg beobachtend, sagte Fabio zu Vitus und dem Magister: »Ein munterer Gevatter, euer kleiner Riese.«
»Das ist er«, antworteten beide wie aus einem Munde.
Gegen Mittag, als die Sonne von einem blassblauen Himmel herabschien, begegneten sie einem jungen, ernst dreinblickenden Mann, der am Wegesrand saß und Rast hielt. Er hatte ein Stück jungen Parmesan in der Hand, in das er mit gutem Appetit hineinbiss. Neben ihm im Gras lag ein kleiner dunkler Kasten, dessen Konturen an die Figur einer gut gewachsenen Frau erinnerte.
»Gott zum Gruße und
buon appetito!«,
rief Fabio ihm entgegen. »Bei solchem Wetter, da schmeckt’s, wie?«
Der junge Mann nickte höflich, kaute zu Ende, schluckte den Käse hinunter und erwiderte erst dann: »Ja, es geht nichts über ein gutes Stück Parmesan.«
»Das ist auch meine Meinung. Allerdings: Käse allein ist doch recht trocken. Ich hätte da einen hübschen Roten, der trefflich dazu passen würde. Er kostet so wenig, dass es mir fast peinlich ist, dir den Preis zu nennen.«
»Danke, ich habe Wasser. Das genügt.«
»Wasser? Hoho, mein Sohn, das klingt, als würdest du niemals einem guten Tropfen zusprechen?«
»So ist es. Zu viel Alkohol macht die Hände unruhig, und ich brauche ruhige Hände.«
Im folgenden Gespräch stellte sich heraus, dass der Jüngling ein Geigenbauer war, der bei Andrea und Antonio Amati im nahen Cremona sein Handwerk erlernt hatte und nun auf dem Weg nach Piacenza war, wo er als Geselle arbeiten wollte. Sein Name war Guido. Auf Wunsch der Freunde öffnete er bereitwillig den dunklen Kasten neben sich und holte eine wunderschöne goldbraune Geige
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