Die Mission des Wanderchirurgen
Seine gute Laune hatte sich für den Moment verabschiedet. »Wenn nicht hier, wo dann, Cirurgicus? Draußen ist es bitterkalt. Ich schlage vor, wir treten dem Wirt in den Hintern, dass er gefälligst sauber macht, dann wird es schon gehen.«
»Nein, wir sollten auf keinen Fall hier schlafen. Diese Ratte kann an der Pest gestorben sein, was bedeuten würde, dass in der Herberge die Seuche umgeht. Überall können todbringende Flöhe herumspringen.«
»Pest? Todbringende Flöhe?
No comprendo!
Ich verstehe kein Wort. Male bloß nicht den Teufel an die Wand!«
Vitus erklärte die komplizierten Zusammenhänge der Pestursachen, wobei er sich auf das Wichtigste beschränkte. Der Magister unterstützte ihn dabei nach Kräften. Es dauerte eine Weile, aber schließlich waren Fabio, Guido und Antonella überzeugt von der verborgenen Gefahr, und sie willigten ein, unter freiem Himmel zu nächtigen.
Als der Entschluss erst einmal gefasst war, konnte es ihnen gar nicht schnell genug gehen, die Seuchenhöhle zu verlassen, doch Vitus nahm sich noch die Zeit, in die Küche zu laufen, um den Wirt zu warnen. Der Herbergsbetreiber lag in einer Ecke und röchelte wie ein Fisch auf dem Trockenen, unverständliche Laute ausstoßend. Er streichelte immerfort eine Weinkanne wie die Wange einer Frau und fuchtelte zwischendurch in der Luft herum. Es sah aus, als mache er das Kreuzzeichen.
Vitus wandte sich ab. Von einem Sturzbetrunkenen war nichts anderes zu erwarten als Erbrochenes, und darauf konnte er gut verzichten.
Er wollte ein paar Decken suchen und mitnehmen, denn alles, was wärmte, würde draußen willkommen sein, doch dann ließ er es. Wer weiß, dachte er, wie viele Flöhe ich so mit hinausschleppe.
Rasch folgte er den anderen.
Die Nacht war kalt gewesen, so kalt, dass ihnen morgens beim Aufstehen die Gelenke knackten. Raureif lag über den Wiesen, und weiße Dampfwölkchen standen ihnen beim Sprechen vor dem Mund. Fabio schüttelte sich aus seinen Decken und stöhnte: »
Ho dormite male!
Bei der Kälte habe ich nicht besonders gut geschlafen.« Dann gab er als Erstes seinen Gäulen Futter aus dem Dinkelsack, und danach machte er sich mit zwei Holzeimern zur nahen Quelle auf. Die Tiere brauchten Wasser.
Die anderen schälten sich ebenfalls aus Planen und Überwürfen, wobei sich herausstellte, dass Enano und Antonella eng beieinander gelegen hatten. Zufall oder Absicht? Es war noch zu kalt, als dass sich jemand darüber Gedanken machen wollte. Während der Magister gähnend seine Berylle suchte, machte auch Vitus sich zur Quelle auf. Er hatte einen Kessel dabei, den er mit Wasser füllen wollte. Später, über einem prasselnden Feuer, sollte daraus eine Suppe werden.
Als er zurückkam, waren alle aufgestanden. Fabio machte sich mittlerweile an seinem Wagen zu schaffen und suchte nach einem Kistchen mit Pilzen und Kürbissen, Guido überprüfte seine Geige, denn er war in Sorge, sie könne feucht geworden sein, der Magister baute das Dreibein für den Kessel auf, und Enano und Antonella waren angelegentlich damit beschäftigt, das Lager in Ordnung zu bringen.
Als das Feuer allmählich Wärme spendete und der Kessel zu summen begann, brach die Sonne durch den Nebel – eine milchig-helle Scheibe, die zunehmend gelber und goldener wurde und schließlich als gleißender Feuerball am Himmel hing. Die Gefährten hatten sich um das Dreibein gesetzt und warteten hungrig auf die Ergebnisse von Antonellas Kochkünsten, denn da sie eine Frau war, hatte man ihr die Aufgabe des Suppemachens zugewiesen.
Vitus lehnte sich zurück, schloss die Augen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht. Angesichts des schönen, klaren Herbstwetters und der friedlichen, flachen Landschaft kam ihm die nächtliche Flucht aus der Herberge überflüssig, ja fast lächerlich vor. Eine kleine, tote Ratte war der Auslöser gewesen. Mehr nicht. Hatten sie vorschnell gehandelt? Es gab viele Ursachen für den Tod einer Ratte, nicht nur den natürlichen. Auch eine Vergiftung kam in Frage. Vielleicht war der schmuddelige Wirt die Viecher Leid gewesen und hatte Köder mit Arsen ausgelegt?
Er beschloss, die unnützen Gedanken beiseite zu schieben und eine wichtige Frage zu stellen: »Freunde«, sagte er, »ich möchte wissen, ob jemand in der vergangenen Nacht von einem Floh gebissen wurde. Sucht nach Stellen, und helft euch, wenn nötig, gegenseitig.«
Sein Wunsch fand wenig Zustimmung, da die Suppe jeden Augenblick fertig werden sollte und
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