Die Mission des Wanderchirurgen
kleine Gelehrte zurück. »Wir kommen gleich.« Er vergewisserte sich, dass ihn niemand beachtete, und zog mit angehaltenem Atem die Leiche ins Buschwerk, damit sie für immer verschwunden war. Wenige Augenblicke später kam Vitus aus dem Gestrüpp zurück. Er war sehr nachdenklich und sagte:
»Ich habe einen weiteren Toten gefunden. Ebenfalls an der Pestis gestorben, ebenfalls Flohbisse, ebenfalls Bubonen. Allerdings nicht in den Leisten, sondern in den Achselhöhlen. Interessanterweise befinden sich die Bisse an den Unterarmen. Es hat den Anschein, als wolle die Pestis über die Gliedmaßen in den Rumpf vordringen und als wehre der Körper sich gleichzeitig dagegen, indem er Verdickungen und Geschwülste an den Übergängen bildet. Nun, das nur nebenbei.«
Vitus sprach ein kurzes Gebet für die Toten und flehte den Allmächtigen an, er möge ihnen ihre Sünden vergeben und in sein Himmelreich aufnehmen. Dann sagte er: »Übrigens, auch der zweite Tote trug ein Barett mit Fasanenfeder, scheint eine Art Bandenzeichen zu sein. Ich gehe jetzt zur Quelle und wasche mich da gründlich. Ich glaube zwar nicht an eine Kontagion, aber schaden kann es auf keinen Fall.«
»Ich komme mit. Meine Haut kribbelt, als wollten die Miasmen mir durch sämtliche Poren.«
Sie wuschen sich von Kopf bis Fuß und reinigten auch ihre Kleider auf das Sorgfältigste. Dies alles dauerte seine Zeit, was dazu führte, dass der eine oder andere zu ihnen kam, um nach ihnen zu sehen oder um ein paar Bemerkungen über ihren plötzlichen Sauberkeitsfimmel zu machen. Sie aber ließen sich nicht beirren. Schließlich erschienen sie am Feuer und nahmen die Reste des Morgenmahls entgegen. Als sie mit Essen fertig waren, räusperte sich Vitus und erklärte den Gefährten mit knappen Worten den Sachverhalt. Er endete: »Wir sollten uns keine Sorgen machen, Freunde, aus den genannten Gründen muss niemand Angst haben. Keiner hat sich angesteckt, dafür gebe ich euch mein Wort als Arzt. Wir sollten zusammenbleiben und weiter unseres Weges ziehen. Alles Übrige wird sich schon finden.«
Die Stimmung, eben noch munter, war hellem Entsetzen gewichen. Besonders Fabio, der sonst so lebensprühende Überlandfahrer, konnte es nicht fassen. »Wie nahe Freud und Leid doch beieinander liegen«, brummte er schließlich und zog fröstelnd die breiten Schultern hoch. »
Fa freddo
, meine Freunde. Wir sollten diesen ungastlichen Ort so schnell wie möglich verlassen.
Andiamo!«
Doch es dauerte noch geraume Weile, bis alle Siebensachen gepackt und die Pferde im Geschirr waren. Als sie gemeinsam auf den Weg nach Piacenza einbogen, hatte sich an der Spitze etwas geändert. Enano, der Zwerg, ging Seite an Seite mit Antonella voraus. Sie überragte ihn dabei um mehr als Kopfeslänge.
Doch das schien beide nicht zu stören.
Sie waren noch keine zwei Stunden marschiert, als das nächste Unglück über sie hereinbrach: Auf einem Feld am Wegesrand erblickten sie einen Körper. Er gehörte einer Bäuerin, die wie tot zwischen den Ackerfurchen lag. Doch sie war nicht tot, noch nicht. Sie fieberte im Delirium und sprach abgehackte Worte, die niemand verstand. Vitus genügte ein Blick aus sicherer Entfernung, um eine hässliche Bubone an ihrem Körper zu entdecken. »Sie ist von der Seuche geschlagen«, sagte er tonlos.
»Machen wir, dass wir weiterkommen,
andiamo, andiamo!«,
drängte Fabio.
»Nein.« Vitus’ Ablehnung kam für alle überraschend. »Sie ist sicher eine gläubige Christin und hat ein Recht auf die Sterbesakramente. Da ich kein Priester bin, kann ich sie ihr nicht geben, aber ein Gebet will ich für sie sprechen.« Er kniete ein paar Schritte entfernt von ihr in der Erdkrume nieder, legte die Hände zusammen und sprach:
»Höre, unbekannte Frau,
in der Heiligen Schrift finden sich Gedanken
des Trostes in Sterbensgefahr.
Es heißt da im Psalm 91, Vers drei:
›Denn er errettet mich vom Strick des Jägers
und von der schädlichen Pestilenz.
Er wird dich mit seinen Fittigen decken,
und deine Zuversicht wird sein
unter seinen Flügeln.
Seine Wahrheit ist Schirm und Schild.‹
Ja, so steht es geschrieben, Frau,
und wenn es Gott dem Allmächtigen
mit seinem unergründlichen Ratschluss gefällt,
dich genesen zu lassen,
so wirst du noch heute genesen.
Amen.«
»Amen«, murmelten auch die anderen.
Vitus sprach weiter: »Lasst uns gemeinsam noch ein Vaterunser beten, Freunde. Wir alle haben bisher nicht daran gedacht, aber heute ist Sonntag, der
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