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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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weiteres Mal ihre Kochkünste unter Beweis stellen können, aber es ereignete sich etwas, das sich als weitaus schlimmer als der nächtliche Überfall erweisen sollte.
    Vitus war es, der die schreckliche Entdeckung machte. Er durchsuchte den Toten, tastete seine Kleider ab und spürte plötzlich Verdickungen in beiden Leisten. Böses ahnend und nicht auf Antonella achtend, die verschämt zur Seite blickte, zog er dem Toten die Beinlinge aus. Der Mann konnte nichts mehr spüren, und Vitus hätte keine Rücksicht dabei nehmen müssen, dennoch tat er es überaus vorsichtig. Er packte die beiden Hosenröhren mit spitzen Fingern an den Enden und zog sie langsam von den Beinen herunter.
    »Warum so viel Aufhebens?«, fragte der Magister. »Der Kerl merkt doch sowieso nichts mehr.«
    Vitus schwieg und untersuchte die Beine. »Komm mal her.«
    »Was ist denn? Ich denke, wir nehmen jetzt das Morgenmahl ein, stattdessen fummelst du an diesem Leichnam herum«, quengelte der kleine Gelehrte. Trotzdem gehorchte er und beugte sich über den Toten. Er blinzelte und fragte nochmals: »Was ist denn?«
    »Siehst du das da?«
    »Das? Das ist ein Stich. Na und?«
    Vitus biss die Zähne zusammen. »Es ist ein Flohstich! Genau genommen sind es sogar mehrere, an beiden Beinen.«
    »
Sic me servavit, Domine!
Du meinst doch nicht, dass dieser Hundsfott die Pestilenzia …?«
    »Genau das meine ich. Der Kerl hat alle Anzeichen der Pest. Hier im Leistenbereich haben sich links und rechts Bubonen gebildet – widerliche schwarzbraune Geschwülste, teilweise schon voller Eiter.«
    »Dann nichts wie weg!«
    »Nein. Bleib ruhig. Mach nicht die Pferde scheu. Panik ist das Letzte, was wir jetzt brauchen.« Vitus ließ von dem Toten ab und wusch sich in einem Bottich die Hände. Dann goss er das Wasser ins angrenzende Gebüsch. »Der Mann kann nicht mehr im Vollbesitz seiner Kräfte gewesen sein, trotzdem war er noch stark genug, gegen uns zu kämpfen. Um ein Haar hätte er mich mit dem Messer getötet, vorausgesetzt, es ist der Bursche, der mich angegriffen hat. Irgendetwas stimmt da nicht. Der Kerl kann unmöglich ein paar Meilen gelaufen sein und anschließend noch die Kraft besessen haben, uns zu überfallen.«
    Der Magister kratzte sich am Kopf. »Vielleicht war er ja die ganze Zeit hier.«
    »Was? Wie? Ich verstehe dich nicht.«
    »Vielleicht saß er ja im Gebüsch. Hübsch getarnt wie ein Fuchs, der auf die Beute lauert.«
    »Du meinst …?« Vitus spitzte die Lippen. »Donnerwetter, warum bin ich nicht gleich darauf gekommen? Ja, so kann es gewesen sein: Der Halunke hatte sich mit seinen Kumpanen im Buschwerk verborgen, um harmlose Reisende zu überfallen. Bei uns, die wir so viele sind, mag es so gewesen sein, dass die Bande sich bei Tageslicht nicht getraut hat; in der Nacht aber haben sie es dann versucht. Weißt du, und ich dachte während meiner Wache wirklich, es läge nur am Wind, warum das Gebüsch sich manchmal so stark bewegte! Jetzt ist auch klar, warum Fabio von ihnen überrascht werden konnte.«
    »In jedem Fall sollten wir noch in dieser Minute aufbrechen. Mir ist schon jetzt so, als würde ich mit jedem Atemzug Pestmiasmen inhalieren.«
    Vitus schüttelte den Kopf. »Wir dürfen uns nicht verrückt machen. Noch haben die anderen nichts mitbekommen. Ich werde ihnen nachher, wenn wir unterwegs sind, alles erklären. Zuvor allerdings will ich mich noch im Buschwerk umtun.«
    »Mensch, Vitus!« Der Magister wurde zusehends nervöser. »Heißt das nicht Gott versuchen?«
    »Ruhig Blut, altes Unkraut. Wir wissen doch, woran wir sind. Der Tote hat Bissstellen von
Pulex pestis
an den Beinen. Er ist auf diese Weise mit der Seuche infiziert worden!« Vitus’ Augen leuchteten.
    »Ich weiß gar nicht, warum du dich so freust. Über uns hängt das Schwert des Damokles und …«
    »Begreif doch! Was wir in der Theorie so mühsam erarbeitet haben – hier findet es seine Bestätigung. Wir hatten Recht! Und wenn alles andere ebenfalls stimmt, wovon ich überzeugt bin, können wir uns gar nicht angesteckt haben: Wir haben den Toten nicht direkt berührt, und geatmet hat er auch nicht mehr.« Ohne dem Magister die Gelegenheit zu einer Antwort zu geben, verschwand Vitus zwischen den Büschen. So blieb er schulterzuckend zurück.
    Vom Feuer her, wo alle anderen sich bereits niedergelassen hatten, brüllte Fabio: »Magister,
amico mio,
wo bleibst du? Wo ist der Cirurgicus, er war doch eben noch da?«
    »Er ist noch mal austreten!«, rief der

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