Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
Vom Netzwerk:
Tag des Herrn. Wir wollen ihn preisen, auf dass er uns vor der Seuche verschone.« Und er begann:
»Pater noster, qui es in caelis, sanctificetur …«
    Danach erhob er sich, wischte die Erde von seinem Umhang und schritt zu den Gefährten, die in respektvoller Entfernung gewartet hatten.
    Fabio stöhnte: »Wo wir auch hinkommen, die Pest ist schon da! Ich habe das Gefühl, von der Seuche umzingelt zu sein. Am besten, wir gehen zurück.«
    Vitus runzelte die Stirn. »Zurück zu dem Buschwerk mit den pesttoten Räubern?«
    »
Mamma mia
, Cirugicus, was sollen wir denn sonst tun? Wir können doch nicht hier hocken und wie das Kaninchen auf die Schlange warten!«
    »Wir ziehen weiter«, sagte Vitus.
    Und so geschah es.
     
    Der dritte Todesschreck an diesem Tage kam am späten Nachmittag über sie. Wieder begegneten sie Arnulf von Hohe und seinen frommen Männern. Doch wie hatten diese sich verändert! Von den einstmals glühenden Eiferern war nur noch ein mutloser Haufen übrig. Rund zweihundert Mann hatte die Truppe zuletzt umfasst, jetzt zählte sie höchstens noch achtzig. Und von diesen achtzig lagen die meisten fiebernd und sterbend auf dem nackten Erdboden. Die Schlange Pest hatte sie geschlagen. Zwischen ihnen glimmten einige Kochfeuer, an denen die noch Gesunden saßen und eine Mahlzeit herzurichten versuchten. Die Fahnen, sonst so eifrig geschwenkt, lagen im Staub. Gleiches galt für die Geißeln. Nur drei oder vier der Verbliebenen benutzten sie noch. Unermüdlich und gegen jede Vernunft. Und mitten unter ihnen stand Arnulf von Hohe, der Unbelehrbare, der von Besessenheit getriebene, hoch aufgerichtet und aus voller Kehle singend.
    Als er Vitus und seiner Gruppe angesichtig wurde, brach er ab und eilte schnellen Schrittes auf die Gefährten zu.
    »Halt!«, rief Vitus mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
    So blieb der Zugmeister stehen, rund dreißig Schritte entfernt und für den Augenblick sprachlos. Doch er fing sich rasch und breitete die Arme aus. »Habe ich es nicht vorausgesehen, Cirurgicus? Die Pestilenz geht um und wird alle vernichten. Alle, sage ich! Es sei denn, der Sünder Gottes ist bereit, sich selbst zu züchtigen, auf dass der Allmächtige sich erbarme und ihn errette.«
    Statt Vitus antwortete der Magister: »Dass die Geißelei nicht der Weisheit letzter Schluss ist, Arnulf, seht Ihr an Euren eigenen Männern. Humbug ist’s, wozu Ihr sie auffordert. Selbstverstümmelung! Ich kenne viele Paragraphen, die Euch dafür zur Rechenschaft ziehen würden.«
    Vitus fiel ein: »Seht doch Eure Männer an! Sie sterben an der Pestis, obwohl sie sich so eifrig geißeln! Und andere, die sich nicht züchtigen, tun es auch.«
    Bevor Arnulf etwas auf diese Unerhörtheit entgegnen konnte, setzte der kleine Gelehrte nach: »Eure Geißelei hilft ungefähr so viel gegen die Seuche wie ein Topf Marmelade. Merkt Euch das!«
    »Das ist … das ist doch …« Fassungslos ging Arnulfs Mund auf und zu. »Das ist Blasphemie! Häresie! Exsekratie! Ihr seid vom Teufel besessen, allesamt. Von Satan, von Luzifer! So höre denn, Teufelsgeschmeiß, was Arnulf, der Gott Liebende und Gott Ergebene, dir entgegenschleudert: Es maße der Mensch sich nicht an, den Ratschluss des Herrn in Frage zu stellen. Er allein bestimmt über Leben und Tod. Er ist es, der Kranke heilt, Er allein, Er, der allmächtige, der erhabene, alleswissende Gott. Er ist es, der Gnade und Barmherzigkeit walten lässt, wenn wir Ihm gläubig dienen, Er allein! Und wenn der Mensch in seiner Bedeutungslosigkeit gottgefällig dient, so mag Er gütig zu uns sein oder auch nicht. Er mag seine Freude an uns haben oder auch nicht. Er mag Milde walten lassen oder auch nicht. Er mag mit frohem Auge sehen, wenn wir uns geißeln …«
    »Oder auch nicht!«, ergänzte der Magister trocken.
    »Was? Das Teufelsgeschmeiß wagt es, noch immer zu belfern?« Arnulf von Hohe hatte jetzt Schaum vor dem Mund und schien wie von Furien besessen. »Wir geißeln uns zu Tode, damit andere leben. Wir büßen und bereuen, wir erliegen dem Fieber, damit Gottes Kinder befreit werden, wir züchtigen uns bis aufs Blut, damit der Erhabene das Paradies wieder auf Erden erstehen lässt. Wenn einer von uns stirbt, so stirbt er gern, einmal, zweimal, tausendmal, auf dass der Herr sich seiner erbarme.
Flagellare necesse est!
Geißeln, Geißeln, Geißeln tut Not! Je mehr sich einer geißelt, desto näher ist ihm das Himmelreich! Ihm und allen, für die er Schmerzen auf sich nimmt!

Weitere Kostenlose Bücher