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Die Mission des Wanderchirurgen

Die Mission des Wanderchirurgen

Titel: Die Mission des Wanderchirurgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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geschehen ist, kannst du nicht rückgängig machen. Es hätte auch mir oder dem Magister passieren können. Uns allen fehlt ausreichend Schlaf.«
    Immer noch zerknirscht, schulterte Fabio die Muskete und entfernte sich. Auch der Zwerg verschwand wieder. Er meinte: »’s is bibberisch für mein Schäfchen, ihr Gacken, muss wieder ins Zelt.«
    Der Magister blinzelte. »Nun sind wir nur noch unserer vier, die Kleine nicht mitgerechnet. Ich glaube, dies ist kein guter Ort, um länger zu verweilen.«
    »Fängst du auch noch an?« Zwischen Vitus’ Augenbrauen bildete sich eine steile Falte.
    »Gemach, gemach. Ich meinte nur, es gibt Angenehmeres, als in der Nähe von ehemals besessenen und nun mausetoten Geißlern zu nächtigen. Von Geigenbauern, die ihr Instrument wie einen Frauenkörper behandelt haben, ganz zu schweigen.«
    Die Freunde waren unterdessen wieder zum Kochfeuer geschritten, wo Vitus damit begann, den Kessel zu reinigen, damit Fabio später sofort mit seinen Kochkünsten beginnen konnte. Plötzlich hörten sie über sich ein Flattern, dann folgte ein sanftes Gurren. Bussola war zurück! Welch eine Freude an diesem trüben Tag! Auch Fabio hatte seine Schöne, seine Holde gehört und eilte nun herbei. »Cirurgicus!«, rief er, »ich weiß, dass ich Wache habe, aber darf ich meinen Liebling wenigstens ganz kurz begrüßen?«
    Natürlich durfte er, alles andere wäre zu grausam gewesen. Der Überlandfahrer entledigte sich recht unmilitärisch seiner Muskete, indem er sie einfach auf den Boden legte, und nahm Bussola liebevoll in seine Pranken. »Da bist du ja!«, rief er so laut, als wäre der Vogel noch eine Meile weit entfernt. »Hattest du eine gute Reise, meine Schöne, meine Holde? Komm, zeig mal dein hübsches rotes Bein. Sì, ja, so. Was haben wir denn da? Eine Nachricht aus Padua von Miabella, meinem liebenden Weib?«
    Er nestelte an der Botschaft, bis er sie losgemacht hatte, und las begierig den Text, mit den Lippen die einzelnen Wörter formend. Dann blickte er auf, Tränen der Trauer und der Freude in den Augen. »Meine Miabella ist untröstlich, dass ich an Weihnachten nicht zu Hause sein kann. Man stelle sich vor,
buon Natale,
und ich bin nicht zu Hause! Aber sie schreibt, die Hauptsache sei, ich sei gesund. Sie will mit den Kindern für mich beten, heute, am Heiligen Abend, um acht Uhr. Und wenn auch ich das zu dieser Uhrzeit täte, dann wären wir einander fast so nah, als sei ich daheim. Ist das nicht rührend?«
    »Ja, rührend«, sagte der Magister. »Hat Professor Girolamo keine Nachricht für den Cirurgicus mitgeschickt, oder hast du sie nur wieder unterschlagen?«
    »Wie? Ob ich etwas unterschlagen habe? Na, hör mal!«
    »Das war nur ein Scherz.«
    »Ein Scherz? Ach so. Ja, da ist eine Nachricht. Ist es nicht bewundernswert, wie meine Schöne, meine Holde immer wieder das schwere Papier transportiert?«
    Vitus nahm den Brief entgegen. »Ja«, sagte er, »das ist es. Besonders, wenn der Inhalt auch noch schwer wiegt.«
    »Wie? Wie meinst du das?«
    Der Magister wiederholte: »Das war nur ein Scherz.«
    »Wie? Schon wieder?«
    Vitus las die Zeilen:
An den Cirurgicus Vitus von Campodios.
Dann folgte der eigentliche Brief:
    Lieber Cirurgicus, verehrter Kollege und Freund,
    zunächst muss ich mich entschuldigen, dass es mir beim letzten Mal nicht möglich war, Euch und den Euren einen Gruß mitzuschicken. Nur so viel: Das Unterfangen De Causis Pestis lässt sich weiter gut an. Mit dem Druck wurde bereits begonnen. Doch nun gestattet mir, ohne Umschweife auf etwas zweifellos viel Wichtigeres zu kommen. Es handelt sich um einen Brief an Euch, der eine Reise um die halbe Welt hinter sich hat: einen Brief von einem Mister Catfield auf Greenvale Castle, der seinem Schreiben einen weiteren Brief beifügte. Letzterer ist von einem Pater Thomas, dem Prior des Klosters Campodios. Beide Botschaften gelangten zunächst nach Tanger, dann auf verschlungenen Wegen über die Stadt Fez in die Barbareskenstaaten, weiter nach Chioggia und Venedig und schließlich nach Padua an die hiesige Universität.
    Ich will es, wegen des begrenzten Papiergewichts, kurz machen:
    Ich musste mich entscheiden, ob ich das Postgeheimnis wahren oder Euch über den Inhalt Bescheid geben sollte. Verzeiht, aber ich entschloss mich, die Briefe zu öffnen, denn mit der bloßen Nachricht, Euch seien zwei Schreiben hinterhergereist, hättet Ihr wenig anfangen können.
    So aber kann ich Euch mitteilen, dass Eure adlige Herkunft

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